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„Die Modernisierung des Islams ermöglichen“

■ André Billon, früher Abgeordneter der „Parti Socialiste“ in der französischen Nationalversammlung, setzt auf eine kritische Erneuerung des Islams in Frankreich

taz: Nachdem Sie zum Islam konvertiert sind, haben Sie die Gruppe „Islam und Republik“ gegründet. Sie setzen sich dafür ein, daß sich der Islam in Frankreich unabhängig organisiert. Zugleich fordern Sie, daß die Republik französischen Muslimen dieselben Rechte gewährt wie anderen Religionen. Wie reagieren Ihre Glaubensbrüder und -schwestern auf die Gruppe?

André Billon: Ich habe keine Illusionen: Unsere Gruppe wird viele Feindschaften hervorrufen. Einmal, weil es unter den besonders aktiven Muslimen viele Integristen gibt, also Leute, die unserer Ansicht nach fortschrittsfeindlich eingestellt sind. Und zweitens üben die arabischen Länder einen enormen Einfluß aus. Insbesondere Algerien will den Islam in Frankreich kontrollieren und beeinflussen. Viele Muslime sind daher dagegen, daß sich der Islam autonom organisiert. Die ausländische Kontrolle wird auch dadurch erleichtert, daß sich der französische Staat nie besonders für diese Frage interessiert hat.

Nun versucht ja die „Union der Islamischen Organisationen in Frankreich“ (UOIF) in Saint-Léger-de-Fougeret ein Institut zur Ausbildung von Imamen „made in France“ zu gründen...

An diesem Institut lassen sich die Probleme des Islams in Frankreich genau ablesen: Da es hier bisher keine Imam-Ausbildung gibt, müssen die Geistlichen aus dem Ausland geholt werden. Sie haben ganz andere gesellschaftliche Erfahrungen, viele sprechen nicht mal Französisch. Das Institut entspricht so einem wirklichen Bedürfnis. Doch wir befürchten, daß die Gründer integristischen Kreisen wie der Islamischen Weltliga und der Muslimbrüderschaft sehr nahe stehen. Wir bezweifeln, daß sie einen Islam unterrichten, der mit unserer Gesellschaft vereinbar ist, und moderne, offene Imame ausbilden werden. Das Institut ist vielmehr ein Brückenkopf des Integrismus in Europa und eine Folge des Versagens des Staates.

Was sollte der Staat denn tun?

Der Staat ist für die Bildung zuständig, diese Aufgabe erfüllt er gegenüber der muslimischen Bevölkerung nicht. Wir fordern, daß er ein Institut für islamische Studien gründet, an dem sich alle bisher verstreuten Forscher treffen und wo eben auch Imame ausgebildet werden könnten. Frankreich ist das einzige Land, in dem es einerseits viele moslemische Intellektuelle gibt, und wo die Laizität andererseits wirkliche Denkfreiheit erlaubt. Hier könnten sich die Türen des Ijtihad öffnen, das heißt der Intepretation des Korans – also eine kritische Reflexion, die eine Anpassung und Modernisierung der Religion erlauben würde. Interview: Bettina Kaps

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