■ Tour d' Europe: Muslime im Okzident
In den Ländern der EG leben sechs Millionen Muslime. Drei bis vier Millionen von ihnen leben in Frankreich, sie machen dort etwa 5 Prozent der Bevölkerung aus. Fast vergessen ist heute, daß der Islam in der Grande Nation Tradition hat, verstand sich die Kolonialmacht doch als „muslimische Macht“. Zum Dank für den Einsatz vieler muslimischer Soldaten, die im Ersten Weltkrieg für das „Vaterland“ gestorben waren, ließ die Republik in den 20er Jahren die Große Moschee in Paris bauen.
In Westdeutschland führte der Kommunismus dazu, daß dem Islam die Türen geöffnet wurden: im Jahr des Mauerbaus 1961 unterzeichnete Bonn den ersten Einwanderungsvertrag mit der Türkei, schließlich waren die billigen Arbeitskräfte aus dem Osten nicht mehr verfügbar. Heute leben bei uns knapp zwei Millionen Muslime. Die drittgrößte muslimische Gemeinschaft der EG lebt in Großbritannien (rund 800.000), gefolgt von Griechenland und den Niederlanden mit je 150.000 Muslimen.
Der Umgang mit den muslimischen Gemeinschaften ist dabei von Land zu Land völlig verschieden – aber fast überall problematisch. Im Gegensatz zu allen übrigen EG-Ländern ist in der französischen Verfassung die Laizität, die strikte Trennung von Kirche und Staat, verankert. Dieses Prinzip führte 1989 dazu, daß die gesamte Nation darüber stritt, ob zwei marokkanischen Mädchen die Freiheit zugestanden werden dürfe, verschleiert zur Schule zu gehen. Integration verlangt in Frankreich Assimilation, Anpassung.
Großbritannien hingegen erkennt ethnische Minderheiten weitgehend an, und dort haben sich auch starke ethnische pressure groups gebildet. In Deutschland, wo das Blutsrecht die Integration verhindert, urteilten Richter, daß die Religionsfreiheit auch das Tragen des Schleiers in der Schule umfaßt. In den Niederlanden schreibt ein Gesetz dem Staat die Gleichbehandlung aller Religionen vor; somit müssen auch muslimische Gebetsräume und Moscheen genauso subventioniert werden wie christliche Kirchen.
In Bosnien muß es offenbar diesen „demokratischen Islam“ gegeben haben, den sich Westeuropa so oft wünscht, ohne ihn jedoch zu fördern. „In Sarajewo hat sich in fünf Jahrhunderten diese Chimäre gebildet, der wir alle hinterherlaufen“, meint der französische Schriftsteller Bernard-Henry Levy: „Ein offener, toleranter, selbst weltlicher Islam, manchmal atheistisch, wo man unterscheiden kann zwischen geistlichen und zeitlichen Dingen... — dieser unauffindbare europäische Islam, der ganz natürlich mit anderen Kulturen und Konfessionen zusammenlebt.“ Und während es Westeuropa nicht schafft, den Graben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in den eigenen Grenzen zu beseitigen, bilden sich im Osten des Kontinents neue Staaten, die ihre Identität aus der muslimischen Religion beziehen. Bk
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