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Wenn sich Militärs vor Schwulen fürchten

Eine heftige Debatte tobt in den USA um Schwule und Lesben im Militär. Nun läßt sich Präsident Clinton auf ein langwieriges Feilschen mit dem Militärestablishment ein – die Betroffenen bleiben auf der Strecke  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Das Megaphon ist viel zu schwach eingestellt, und so können gar nicht alle hören, was Dorothy Haydjs zu sagen hat. Aber jeder kann sehen, wie sie sich immer wieder die Tränen aus den Augen wischt. Im Hintergrund halten ein paar Demonstranten ein Plakat mit dem Foto ihres Sohnes Allen in die Höhe. Ein lächelnder junger Mann in Navy-Uniform und US- amerikanischer Flagge über der Schulter blickt da auf die Versammelten am Navy Memorial zwischen Weißem Haus und Capitol herab. Es ist eines jener Standardfotos, die das Militär seinen Soldaten als Andenken mit nach Hause gibt – oder aber anläßlich des Nachrufs auf einen Gefallenen in der Zeitung veröffentlicht.

Der Marinefunker Allen Schindler ist am 27. Oktober 1992 im Alter von 22 Jahren gestorben. Er hat kein Begräbnis mit militärischen Ehren bekommen – auch keine wohlwollend patriotische Würdigung in seinem Lokalblatt von Chicago Heights. Über den Tod von Allen Schindler würde die Navy am liebsten überhaupt kein Wort verlieren.

Die Leiche des Marinefunkers wurde in einer öffentlichen Toilette nahe des US-Marinestützpunkts Sasebo in Japan, wo Schindlers Schiff „Bellau Wood“ gerade vor Anker gegangen war. „Schlagverletzungen durch einen dumpfen Gegenstand an Kopf und Brustkorb“ hatte Dorothy Haydjs im Autopsiebericht gelesen. Als man sie schließlich in das Leichenschauhaus holte, konnte sie ihren Sohn nur anhand seiner Tätowierungen identifizieren. Allens Kopf war zertrümmert, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die Nase nach innen eingedrückt, sämtliche Rippen gebrochen, die Geschlechtsteile wiesen Rißwunden auf. „Ich verstehe nicht, wie irgend jemand so etwas einem anderen Menschen antun kann“, sagt die Mutter und blickt ein paar Sekunden verzweifelt suchend in die Gesichter der Demonstranten, als könnte irgendeiner eine Erklärung geben. Dann ist es mit ihrer Beherrschung endgültig vorbei. Sie weint – bis ihr jemand das Megaphon abnimmt.

Bei dem Versuch, herauszufinden, was an diesem 27. Oktober 1992 in Sasebo passiert ist, muß Dorothy Haydjs um jedes Detail kämpfen. Es dauerte mehr als sechs Wochen, bis die zuständige Ermittlungsbehörde „Naval Investigative Service“ (NIS) endlich bestätigte, was Dorothy Haydjs längst vermutet hatte: Ihr Sohn hatte kurz vor seinem Tod seinen befehlshabenden Offizier darüber in Kenntnis gesetzt, daß er homosexuell war. Schindler wußte, daß dies, entsprechend des herrschenden Bannes gegen Schwule und Lesben in der Armee, seine Entlassung zur Folge haben würde. Er wollte nach vier Jahren die Uniform an den Nagel hängen, weil ihm die Homophobie seiner „Kameraden“ zunehmend unerträglich wurde. Während die Navy prompt ein Ausschlußverfahren einleitete, stieß sein Antrag auf sofortige Versetzung auf ein anderes Schiff auf taube Ohren. Freunde berichten, Allen habe ihnen kurz vor seinem Tod mehrfach von schwulenfeindlichen Drohungen anderer Besatzungsmitglieder erzählt; der NIS will von dieses Klagen bislang nichts gehört haben. Fest steht, daß Allen Schindler am 27. Oktober, dem ersten Tag, an dem die Besatzung der „Bellau Wood“ das Schiff verlassen durfte, von den Navy-Fliegern Terry Helvey und Charles Vins durch Tritte und Schläge ermordet wurde.

Der Tod trat vermutlich ein, nachdem Schindlers Kopf mehrfach gegen ein Waschbecken geschleudert wurde. Unmittelbar nach dem Mord wurde ein zweiter schwuler Navy-Soldat von der „Bellau Wood“ abberufen – aus Sicherheitsgründen. Vins ist inzwischen nach einem Geständnishandel mit der Staatsanwaltschaft zu vier Monaten Haft wegen Widerstands bei der Festnahme verurteilt worden. Als Gegenleistung soll er als Belastungszeuge gegen Helvey aussagen. „Vier Monate“, sagt Dorothy Haydjs, „das kriegen andere Leute, wenn sie einen ungedeckten Scheck ausstellen.“

„Die Opfer sind schuld“

Den Namen Allen Schindler erwähnt dieser Tage keiner im Kongreß oder im Pentagon. Aber er steht unausgesprochen im Raum, wenn Politiker und Militärs erbittert über die Frage streiten, ob der Bann gegen Schwule und Lesben in der Armee aufgehoben werden soll – quasi als verdeckte Warnung vor der Gewalt, die ein Ende der Diskriminierung heraufbeschwören könnte. Man kann es auch als verhohlene Drohung verstehen. Dabei klingt es recht treuherzig, wenn Befürworter des Banns wie der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im Senat, Sam Nunn, zur besten Sendezeit auf CBS-TV erklärt, bei einer vorschnellen Integration homosexueller Soldaten habe er „Angst um das Leben dieser Leute“. In der gegenwärtigen Debatte ist das die fürsorgliche Version des „Die Opfer sind schuld“-Syndroms.

Das Ende einer 50 Jahre alten systematischen Diskriminierung gegen Homosexuelle in Uniform hatte der Präsidentschaftskandidat Bill Clinton für den Fall seines Wahlsiegs versprochen. Was während des Wahlkampfs keine größeren Reaktionen hervorrief, hat sich nun, nach Clintons Amtsantritt, zu einer Art Religionskrieg entwickelt. Auf der einen Seite die Armeeführung, Veteranenverbände, christliche Fundamentalisten und konservative Kongreßmitglieder, auf der anderen Schwulen- und Lesbengruppen, Bürgerrechtsorganisationen, liberale Abgeordnete und die neue Administration. Das Volk in seiner repräsentativen Gesamtheit kommt wie immer in solchen Fällen durch Meinungsumfragen zu Wort. 41 Prozent sind für den Bann, 41 Prozent dagegen, der Rest unentschlossen, melden die Demoskopen.

Auf den ersten Blick erscheint der erbitterte Widerstand gegen die Integration schwuler und lesbischer Soldaten wie ein hysterisches Schattenboxen, ein letztes Aufbäumen bornierter Anachronisten. Allen, auch den Militärs im Pentagon ist bekannt, daß Homosexuelle seit Jahr und Tag im US- Militär dienen. Niemand würde heute noch mit der These aufwarten, Homosexualität sei Ausdruck einer Geistesstörung – die Behauptung, mit der Anfang der 40er Jahre die Einführung des Banns legitimiert wurde. Zwei Studien des Verteidigungsministeriums aus dem Jahre 1989 stellen fest, daß homosexuelle Soldaten ihre Ausbildung und Dienstpflichten mindestens genausogut absolvieren wie heterosexuelle Soldaten – wenn nicht besser. Die Schlußfolgerung ist mit dem aufschlußreichen Zusatz versehen, daß die Vorurteile gegen Homosexuelle von „gleicher Art und Intensität sind wie die Vorurteile gegen schwarze Soldaten 1948“. In diesem Jahr wurde per Exekutivorder durch den damaligen Präsidenten Truman die Aufhebung der Rassentrennung im Militär eingeleitet. Im August 1991 antwortete das Pentagon auf die Frage eines Journalisten, daß es nach dem Wissen des Ministeriums keine empirischen Beweise gebe, „wonach Homosexuelle ein größeres (oder kleineres) Risiko für die nationale Sicherheit darstellen als Heterosexuelle“. Zwei Monate zuvor war ein internes Papier des Heeres öffentlich geworden, das ein Ende des Banns forderte, da in absehbarer Zeit die Gerichte die Diskriminierungspolitik für verfassungswidrig erklären würden. Am vergangenen Donnerstag bewahrheitete sich diese Prophezeiung zumindest in einem Fall. Mit der Begründung, der Bann verstoße gegen die US-Verfassung, wies ein Bundesrichter in Kalifornien die US-Navy an, den schwulen Unteroffizier Keith Meinhold wieder in ihre Reihen aufzunehmen.

Doch trotz interner Studien und Denkprozesse weigert sich das Militär bislang, freiwillig von seiner Diskriminierungspolitik abzurücken. Im Durchschnitt wurden in den letzten Jahren 1.500 Schwule und Lesben ehrenhaft aus der Armee entlassen – die übergroße Mehrheit gegen ihren Willen. Oft gingen dem Ausschlußverfahren Bespitzelungen durch die Militärpolizei oder Ermittlungsdienste voraus. Oft wurden die Betroffenen in Verhören unter Druck gesetzt, Namen anderer Homosexueller zu nennen.

Härter noch als gegen schwule Soldaten wird gegen lesbische Soldatinnen vorgegangen. „Im Vergleich zu ihrer Gesamtzahl im Militär ist die Rate der Ausschlußverfahren gegen Frauen etwa doppelt so hoch wie bei Männern“, sagt Kitt Kling, die im Vorstand der „Gay, Lesbian und Bisexual Veterans of America“ (GLBVA) in Washington sitzt. Frauen sind in der Armee von doppelter Diskriminierung durch Sexismus und Homophobie betroffen. Nach einer vom Pentagon durchgeführten Studie aus dem Jahre 1990 ist unter 20.000 befragten Soldatinnen im aktiven Dienst jede dritte von Vorgesetzten oder Gleichrangigen sexuell belästigt, angegriffen oder vergewaltigt worden. Häufig werden Frauen, die sich gegen sexuelle Angriffe wehren, mit der Bedrohung erpreßt, als Lesbe denunziert zu werden.

Kitt Kling war 1972 im Alter von 18 Jahren in die Armee eingetreten. Ihr Motiv war, wie bei den meisten Soldaten damals und heute, eine Mischung aus Patriotismus und Pragmatismus. In den USA stellt das Militär faktisch einen zweiten Bildungsweg dar. Wer sich die hohen Studiengebühren für die Universität nicht leisten kann, hat im Militär die Chance zum Collegeabschluß. Auf diese Weise konnte auch Kitt Kling ihren Soziologie-Abschluß finanzieren. Ihre Laufbahn in Uniform beendete sie allerdings nach zwei Jahren, weil sie sich der „Druckkesselsituation“ nicht länger aussetzen wollte. Wegen des Verdachts auf Homosexualität und „psychische Instabilität“ mußte sie gleich zu Beginn der Militärzeit eine Untersuchung über sich ergehen lassen. „In den Augen der meisten Männer sind Frauen in der Armee entweder Huren oder Lesben“, lautet ihr Resümee. Daß sich daran in den 80er und 90er Jahren grundsätzlich etwas geändert hat, bezweifelt sie.

Angst der Heterosexuellen?

Ironischerweise sind es in der Debatte um Homosexuelle in der Armee nun aber heterosexuelle Männer, die Angst vor sexueller Belästigung geltend machen. Vom Unteroffizier bis zum Vorsitzenden des Generalstabs wird immer wieder der Einwand vorgebracht, heterosexuellen Soldaten sei nicht zuzumuten, mit offen Homosexuellen Schlafsaal und Dusche zu teilen. Aus dem potentiellen Opfer heterosexueller Wut ist im Handumdrehen eine Bedrohung des „normalen“ Teils der Truppe geworden. Auch Sam Nunn, einst selbst als demokratischer Verteidigungsminister im Gespräch, durch solche Fürsorge hervor. „Wir müssen in diesem Zusammenhang die Rechte derer in Betracht ziehen, die nicht homosexuell sind und mit dem Eintritt in die Armee einen großen Teil ihrer Privatsphäre aufgeben.“

1948, als es um die Integration der Schwarzen ging, lautete die Argumentation ähnlich: Damals zitierte die New York Times einen Regierungsbeamten, der sich gegen die Integration auf Rekrutenebene mit der Begründung aussprach, daß dann „weiße Männer mit Negern in denselben Quartieren schlafen und essen müßten“.

An Parallelen zur Debatte um die Aufhebung der Rassentrennung mangelt es wahrlich nicht. Wie vor fünfzig Jahren beschwören Generäle, konservative Politiker und Kommentatoren schwerwiegende Konsequenzen für Kampfmoral und Einsatzbereitschaft. Allerdings hat sich das Pentagon auch hier längst selbst widerlegt. Im Januar 1991, kurz vor Beginn der „Operation Wüstensturm“ gegen den Irak, wies das Verteidigungsministerium die Kommandeure aller Einheiten an, keine weiteren homosexuellen Soldaten zu entlassen. Die Teilnahme von Schwulen und Lesben am Golfkrieg hat der Einsatzfähigkeit der US-Armee bekanntlich keinen Abbruch getan.

Je offensichtlicher sich das Pentagon in Widersprüche verwickelt, desto deutlicher wird, welche Gründe der vehemente Widerstand gegen die Legalisierung von Homosexuellen in der Armee tatsächlich hat. Da geht es zum einen um einen Machtkampf zwischen der Armeeführung und dem neuen Präsidenten, der, ohne selbst je in einer Uniform gesteckt zu haben, dem Pentagon das Budget kürzen will. Da geht es aber auch um Angst bei Offizieren und Soldaten, die durch die offene Präsenz von Schwulen in Uniform mit der latenten Homoerotik in ihrer heterosexuellen Machokultur konfrontiert werden. In der Armee, so schrieb die Kolumnistin Ellen Goodmann im Boston Globe vor einigen Monaten, sei der Nachweis der Männlichkeit immer entscheidendes Kriterium für den Zusammenhalt gewesen.

Für die Schwulen- und Lesbengruppen steht politisches Kapital auf dem Spiel. Bill Clinton war der erste Präsidentschaftskandidat der US-Geschichte, der es gewagt hat, die gay community als Wählerblock zu hofieren. Die hat es ihm mit über 80 Prozent ihrer Wählerstimmen gedankt – immerhin rund 16 Millionen. Der Showdown mit der Bastion des Hetero-Machismo stand keineswegs ganz oben auf der politischen Tagesordnung der Lobbygruppen und Aktivisten. Doch für die Schwulen und Lesben in den USA hängt es nun von Clintons Durchsetzungsfähigkeit und moralischem Rückgrat ab, ob sie sich am Ende als Stimmlieferanten mißbraucht fühlen.

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