: „Wir sind des Biskys roter Haufen“
Auf dem PDS-Bundesparteitag dominierte Harmonie, die sich der Vorstand mit einem verwässerten MfS-Beschluß erkaufte/ 92 Prozent stimmten für den neuen Vorsitzenden Bisky ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
Berlin (taz) – Die Arbeitsgemeinschaft der Jungen GenossInnen aus Brandenburg stellte dem einzigen Kandidaten direkt nach seiner Wahl ein ganz passables „Versetzungzeugnis“ aus. Lothar Bisky, von den 501 Delegierten des Bundesparteitages am Samstag Nachmittag mit 92 Prozent der Stimmen zum neuen Bundesvorsitzenden der PDS befördert, gilt der Parteijugend als „höflicher, aufgeschlossener und manchmal zu ruhiger Schüler“. Für Fleiß und Toleranz erhielt er die Noten Eins, für Heimatkunde eine Zwei – wegen Schwächen in den Fächern „Praxis“ und „außerparlamentarischer Widerstand“ zweimal die Note Vier. Der frisch gekürte Vorsitzende war gerührt, und als die Jungen nach seinem Wahlerfolg auch noch sangen, „Wir sind des Biskys roter Haufen“, wandte er sich ein wenig verlegen ans Parteivolk, worauf er sprach: „Ich sage euch Danke, ich werde mir Mühe geben“.
Die harten Kontroversen blieben auf dem 3. Parteitag der PDS aus. Insbesondere der vom PDS- Vorstand vorgelegte Leitantrag zur Beibehaltung des „MfS-Beschlusses“ ließ heftige Debatten erwarten – hatten doch zahlreiche Parteiorganisationen im Vorfeld des dreitägigen Treffens mehr oder weniger offen die Rücknahme des Beschlusses gefordert, wonach Parteimitglieder, die eine frühere Stasi-Tätigkeit nicht offenbarten, aus ihren Wahlfunktionen ausscheiden müssen.
Die Debatte kreiste denn auch bei den Befürwortern einer Aufhebung um Begriffe und Sätze wie „Offenbarungszwang“, „Rückfall in eine bloß negative Sichtweise der DDR“, „psychologische Bürgerkriegsführung“ oder „Wer hat das Recht, andere zur öffentlichen Steinigung freizugeben?“.
Für den Parteivorstand hielt Michael Schumann den Delegierten entgegen, daß die „Offenheit in Bezug auf frühere inoffizielle MfS- Tätigkeit in einigen euch allen bekannten Fällen vermieden wurde“. Damit sei „regelmäßig Vertrauen in- und außerhalb der Partei verspielt“ worden. Das Argument, das letzlich die Delegierten überzeugt haben dürfte: „Nehmen wir diesen Beschluß zurück – gleichgültig mit welchen Begründungen und aus welchen Motiven – die öffentliche Wirkung wäre verheerend.“
Daß der Leitantrag den Parteitag letzlich ohne größere Schwierigkeiten passierte, war den Zugeständnissen des Vorstandes geschuldet, die die alte Regelung verwässerten. Künftig müssen Kandidaten zwar nicht nur eine ehemaligen MfS-Tätigkeit, sondern alle „wesentlichen Umstände der politischen Biographie“ offenlegen. Dafür wurde aber der innerparteiliche Sanktionsrahmen eingeschränkt. Wo früher galt, daß ertappte Sünder, wie der frühere Berliner Landesvorsitzende André Brie, ihre Ämter automatisch niederlegen müssen, heißt es nun, daß diese vor den Gremien, die sie gewählt haben, die Gründe für ihr Schweigen „zu benennen und die Vertrauensfrage zu stellen“ haben. – Womit die Möglichkeit, das Amt zu behalten, offengehalten wird.
Nach seiner Wahl erklärte Lothar Bisky, die PDS als „berechenbare, linke Oppositionspartei“ 1994 in den Bundestag führen zu wollen. Ziel sei, in den alten Ländern rund zwei Prozent der Wählerstimmen zu erringen; bei gleichbleibenden Einfluß im Osten könnte so die Fünf-Prozent-Hürde gemeistert werden. Zu Biskys Stellvertreter wurden die Dresdner PDS-Stadtvorsitzende Christine Ostrowsky und der frühere Bundesgeschäftsführer Wolfgang Gehrcke gewählt. Neuer Bundesgeschäftsführer wurde Martin Harnack, bislang Landesgeschäftsführer in Sachsen.
Gregor Gysi verabschiedete sich mit einer fast zweistündigen Rede als Parteivorsitzender. „Ich weiß, daß die Perspektive der PDS bei weitem noch nicht gesichert ist“, resümierte er, „ich glaube, daß wir in dieser Zeit nicht wenige Fehler begingen [...], aber doch wesentlich mehr erreichten, als andere uns zubilligten.“ Positiv wertete Gysi die Abkehr vom Stalinismus. Stattdessen bilde der demokratisch-sozialistische Neubeginn jetzt den „entscheidenden Pfeiler unserer Identität“.
Gysi erklärte, daß die PDS 1994 zur Bundestagswahl auch mit einer offenen Liste antreten könnte. Denkbar seien aber auch Wahlbündnisse mit „linksdemokratischen, linksökologischen und linksliberalen“ Organisationen. Es gebe bereits erste Angebote. Die Offerte der „Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands“, die einen offenen Brief an den PDS- Vorstand für einen „Vorschlag zur Bildung eines Wahlbündnisses“ warb, dürfte er damit kaum gemeint haben. Oder?
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