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Zonendödel und Ostkühe

■ Wird Wolfgang Menges "Motzki" ein Fall für das Komitee für Gerechtigkeit"?

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten. Doch Motzki sei Dank: Er wird heute abend Deutschland wieder in die Grenzen von 1989 versetzen. Dies orakelt zumindest die Besserwessi- Presse, die den Rundkopf lange vor der ersten Folge in seitenlangen Vorberichten als Spaltpilz der Nation gewürdigt hat. Ob das Fernsehen wirklich die Brüder und Schwestern trennen kann, die doch noch gar nicht richtig zusammengefunden haben und/oder sich die ostdeutsche Bevölkerung aufbäumen wird und den Fall „Motzki“ an das „Komitee für Gerechtigkeit“ weiterreichen muß: Darüber wird heute erst nach 21.05 Uhr Klarheit herrschen. Dann nämlich betritt Motzki (Jürgen Holtz) die Bühne seiner Berliner Altbauwohnung an der Linsenstraße (!) und wird vor Augen und Ohren seines Putzlappens Edith (Jutta Hoffmann) 13 Folgen lang über die „Zonendödels“ lamentieren. Nicht nur in der ersten 25-Minuten-Einheit wird die betroffene „Ostkuh“-Edith dies aufsaugen wie das Wischwasser, denn immerhin bekommt sie dafür acht Mark die Stunde.

Wir erinnern uns: Schon einmal betrat ein Ekel die Bildfläche des Fernsehens. Damals war 1973, das Ekel hörte auf den Namen Alfred, war einsfuffzich hoch, wusch sich in der Salatschüssel die Füße und pflegte seine Ehefrau gerne „dusselige Kuh“ zu nenen. Der Autor von „Ein Herz und eine Seele“ und „Motzki“ ist derselbe Wolfgang Menge, den mit seiner Kopfgeburt von heute mehr als die Frisur auf dem kahlen Schädel verbindet: „Urteile, die begründet und nicht nur Vorurteile sind“, habe er in der Serie formuliert, „wenn auch vieles übertrieben“ ist“, sagt er. Heute müsse eine Serie anders aussehen als zu Zeiten der sozialliberalen Koalition: „Wenn Alfred sagte 'Willy Brandt ist ein Arschloch‘ haben sich alle totgelacht, weil der Kanzler eine Sympathiefigur war. Wenn Motzki heute dasselbe über Helmut Kohl sagen würde, hieße es: So what!“, sagt Menge.

Geht es nach ihm, trennen Tetzlaff und Motzki Welten: Der „reaktionäre Spießer“ von einst sei im Gegensatz zu dem „menschlichen realen Motzki vielmehr eine Kunstfigur.“ Tetzlaff hätte auch nach Rostock und Hoyerswerda auf die Asylbewerber gewettert. Motzki, für Menge der Typ des Spiegel-Lesers, wäre das zu peinlich. Die Rolle des türkischen Nachbarn liegt ihm besonders am Herzen: „An dem zeige ich, daß Menschen, die noch vor einiger Zeit als Fremde verachtet wurden, jetzt von den Wessis viel eher akzeptiert werden als die Ossis.“ Kaum zu glauben: läßt doch Motzki Sätze fallen wie „Das ist kein Freund, das ist ein Türke.“ Für die Rolle des Gülüsan, der über die „Schmarotzer aus dem Osten“ und andere Zugereiste schimpfen muß, ließ sich übrigens kein türkischer Schauspieler finden. „Wir haben uns lange bemüht und am Ende gedacht einen besseren Türken als Albert Kitzl gibt es nicht,“ sagt dazu WDR-Redakteur Wolf-Dietrich Brücker.

So wird denn 13 Folgen lang der motzige Frührentner in seinen Plastiksandalen durch die im Gelsenkirchener Barock gehaltene Wohnung schlurfen (Motzki: „Ganz ohne Innenarchitekt“) und über das „Zonenpack“ im „überfremdeten Berlin“ und das „Idiotengeschwätz“ des Kanzlers wettern. Manchmal darf die ihm nach dem Tod seiner Frau zugelaufene Ost- Schwägerin auch was sagen, zum Beispiel: „Bei Westwind roch's bei uns nach Apfelsinen, Parfüm und Hundescheiße“. Zwischendurch kommt Elvira (Eva Mattes) aus Bonn vorbei, um den Ort zu besichtigen an den sie „irgendwann“ zur Jahrtausendwende ziehen soll. Ihr Mann, Pförtner vom Bundestagshintereingang, hat zwar für diesen Fall mit Selbstmord gedroht, aber solange kann sie ja versuchen, das Herz des türkischen Gemüsehändlers zu erobern, der sich ausgerechnet Motzki zum Vorbild genommen hat. – Ob sich dabei die „Katharsis einer Motzkischen Dialektik der Aufklärung“ einstellen wird, die sich die Redakteure erhoffen, weil Dinge ausgesprochen werden, die in den (west-) deutschen Köpfen herumspuken sollen, ist dabei fraglich. Zu sehr hat die Realität die Fiktion überholt, ist die Aktualität auf der Strecke geblieben, die bei „Ein Herz und eine Seele“ (fast) alle so köstlich amüsiert hat. Eins steht jedoch bei aller Ungewißheit, ob der Grabenkrieg wenigstens den von NDR und WDR erwarteten Ärger auslösen wird, fest: Die Wohnung des Ex-Fahrlehres Motzki hat einen Grimme-Spezial-Preis für die Ausstattung verdient. Sabine Jaspers

Wer „Motzki“ heute in der ARD um 21.05Uhr verpaßt, kann sich in N3 ab 7.2. jeweils sonntags um 21.15Uhr an den Wiederholungen ergötzen.

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