Kostspieliger Kanonendonner

■ Morgen live: Bill Fontanas Klangachse - Hamburg, Marseille und St. Petersburg

– Hamburg, Marseille und St. Petersburg

Morgen früh sind vom Rathaus ungewohnte Geräusche zu hören: Wasserglucksen, fremdes Marktgetümmel, um zwölf Uhr gar erschreckt Kanonendonner die Hamburger Bürger auch beim Einkauf im noblen Hanseviertel: die Mediale drängt sich in die Ohren. Mit 125000 Mark Zuschuß zentrierte der amerikanische Klangkünstler Bill Fontana eine „Klangachse“ von Marseille nach St. Petersburg in der Partnerstadt Hamburg.

Life und zeitgleich sind aus Marseille Töne von festinstallierten Mikrophonen am Mittelmeer, aus der Hafenmeisterei und vom Straßenmarkt der Algerier zu hören. Dazu kommen Geräusche, die ein wandernder Tontechniker im ehemaligen Leningrad einfängt. Dazwischen werden feste Tonquellen aus Hamburg eingespielt: die mechanische Uhr des Rathauses, die Glocken von Michel und Petrikirche, das Knarren eines Hafenpontons.

All dies ist nach musikalischen Kriterien sortiert. Für den ausgebildeten Komponisten Fontana ist das Zuhören das wichtigste. In der Tradition von John Cage und Phil Corner versteht sich der auch philosophisch geschulte Klangkünstler als Vermittler exemplarischer Tonquellen. Seine Arbeit sind Auswahl und zeitliche Steuerung. So wird der Kanonenhall von der Newa mehrfach wiederholt, sein Echo an verschiedenen Orten verfolgt. Wichtig ist die tatsächliche, zumindest akustische Gleichzeitigkeit eines Europa vom milden Mittelmeer zu den baltischen Eisbrechern.

Die Kosten solcher Gleichzeitigkeit über Telefonstandleitungen und via Satellit sind so hoch, daß dieses aufwendige „Zusammenstürzen“ nur am Donnerstag von 10 bis 12 und von 16 bis 18 Uhr möglich ist. An den Folgetagen sind dann nur noch die „Hamburg-Töne“ live, die Aufzeichnungen werden daruntergemischt. So sehr Fontana dies bedauert, mehr europäische Gleichzeitigkeit ist einfach nicht zu bezahlen. Daß es überhaupt möglich ist, stundenlang Live-Töne aus der GUS zu erhalten, ist bereits ein Novum. Noch 1989 scheiterte ein ähnliches Projekt mangels Technik.

Den Passanten mag das alles ziemlich egal sein, doch wenn nur wenige sich fragen, woher so ungewohnte Töne kommen, könnte dies der Beginn einer Hinterfragung der Welt sein, hofft Fontana. Zumindest eine kleine Erweiterung des Hör-Horizontes. Hajo Schiff