■ Zur Sicherheit westdeutscher Atomkraftwerke: Neues Geschäft mit geprüftem Risiko
Risse im Kühlsystem eines Reaktors haben den Sozialdemokraten Günther Jansen in Rage gebracht. Der Atomkraftgegner im Rang eines Landesministers versprach im Wahlkampf, Schleswig-Holsteins Atomkraftwerke stillzulegen, und hat seither den Christdemokraten Klaus Töpfer fest im Visier. Der Bonner Atomminister habe – mal wieder – ein Sicherheitsrisiko heruntergespielt und Untersuchungen verzögert, tönt es seit gestern aus Kiel.
Nur: Jansen drischt den Falschen. Töpfer hatte sehr wohl Untersuchungen eingeleitet, aber er hat nicht mehr viel zu sagen. Ein anderer Sozialdemokrat, Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder, hat ihn überrundet und mit den Chefs der größten deutschen Stromerzeuger die Grundlinien künftiger deutscher Atompolitik abgesteckt: die alten Reaktoren sollen in geregelten Fristen stillgelegt werden, auf die Wiederaufbereitung wird verzichtet, die Option auf neue Reaktoren bliebt offen.
Damit ist die Debatte um die Sicherheit der Atomkraft wieder eröffnet. Experten der alten Anti-Atomkraft-Bewegung wundern sich. Denn was Techniker in Würgassen und Brunsbüttel entdeckt haben, überrascht sie kaum. Risse im Stahl, der absolut sicher sein sollte: Wer hat denn an die Versicherungen der Lobby geglaubt? Nicht einmal die Atomwirtschaft selbst, die das schöne Wort des „Restrisikos“ erfunden hat.
Nichts Neues also, Atomkraftwerke sind prinzipiell lebensgefährlich für Generationen von Menschen, keine Technik wird daran etwas ändern. Man wird die schadhaften Rohre ersetzen, möglicherweise wird der eine oder andere Reaktor früher vom Netz genommen – dieser Punkt scheint in Schröders Modell durchaus verhandelbar. Warum sollte die Atomwirtschaft also nicht zustimmen? Ihre weitsichtigeren Köpfe möchten einen weitreichenden, gesellschaftlichen Konsens über die zukünftige Nutzung der Atomkraft herbeireden. In ganz Osteuropa stehen Reaktoren, die nur darauf warten, nachgerüstet zu werden, und die Siemens AG hat sich schon mit den französischen Partnern auf die Entwicklung einer neuen Reaktorengeneration verständigt.
Dieses Geschäft bedarf der politischen Absicherung über Parteigrenzen hinweg. Schröder will dafür sorgen, und Genosse Jansen liefert ihm Spielmaterial. Denn nur vordergründig stören die Risse von Brunsbüttel. Da sie erkannt, begutachtet und in ernsten Fällen repariert werden, sind sie schon jetzt ein Argument für die Atomwirtschaft. Ein Verkaufsargument vor allem: Deutsche Atomkraft ist von deutschen Atomgegnern geprüft. Die kritischen Experten werden sich darauf einstellen müssen, ihre alten Papiere in den Siemens-Werbebroschüren wiederzufinden. Niklaus Hablützel
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