: „Ehrensache des türkischen Staates“
■ Suche nach Journalisten-Mördern geht weiter
Istanbul (taz) – Der öffentliche Aufruhr nach der Ermordung des Journalisten Ugur Mumcu am vorletzten Sonntag will nicht verstummen und hat die türkische Regierung in Bedrängnis gebracht. Großspurig hatten Premier Demirel und verschiedene Minister angekündigt, daß bald die Täter und die Hintergründe des politischen Mordes der Öffentlichkeit präsentiert werden könnten. So wurde die Festnahme von elf Verdächtigen als Fahndungserfolg gefeiert. Die Männer – sie waren iranischer, irakischer, syrischer und jordanischer Staatsangehörigkeit – wurden jedoch vorgestern wieder freigelassen. „Sie haben nichts damit zu tun“, erklärte der Oberstaatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes, Nusret Demiral.
Die Erfahrung lehrt türkische Bürger, daß Journalistenmorde unaufgeklärt bleiben. Doch Innenminister Ismet Sezgin, der die Aufklärung des Mordes zur „Ehrensache“ des türkischen Staates erklärt hat, verkündete, die Mörder der beiden Journalisten Cetin Emec und Turan Dursun seien gefaßt. Auch im Fall Mumcu sei die Polizei auf einer heißen Spur.
Alle drei waren überzeugte Laizisten, die gegen islamisch-fundamentalistische Strömungen polemisierten. Cetin Emec war Chefredakteur des Massenblattes Hürriyet, Turan Dursun zog in den Seiten des linken Wochenmagazins 2000e Dogru (Richtung 2000) gegen Mullahs und falschverstandene Koran-Suren zu Felde. Der Rechercheur Ugur Mumcu deckte Beziehungen von türkischen Fundamentalisten zu ausländischen Geheimdiensten auf. Die Vermutung, daß die Täter aus den Kreisen der islamischen Fundamentalisten kommen, lag nahe.
In den führenden türkischen Tageszeitungen wurde nach dem Mord eine regelrechte Kampagne gegen antilaizistische Strömungen gestartet. „Mullahs ab in den Iran“, „Nieder mit Hizbollah“, Nieder mit der Scharia“, „Es lebe die laizistische Republik“, skandierten die Menschen auf der Beerdigung von Ugur Mumcu am vergangenen Mittwoch. Die Trauerkundgebung, an der Hunderttausende teilnahmen, war die größte Demonstration im Nahen Osten wider den islamischen Gottesstaat und für die Trennung von Staat und Religion.
Laizisten im Aufwind
Der bekannte türkische Schriftsteller Aziz Nesin, der sich öffentlich als Atheist bekannte, bekräftigte den Beschluß des türkischen Schriftstellerverbandes die „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie auf türkisch herauszugeben.
Der iranische Geheimdienst SAVAMA wurde als Drahtzieher der Morde vermutet. Die öffentliche Empörung führte gar dazu, daß der Staatsbesuch des iranischen Innenmisters Abdullah Nuri in der Türkei letzte Woche vorzeitig abgebrochen wurde. Die Türken strichen ihm Istanbul kurzerhand aus dem Programm.
Die Machtdemonstration der Laizisten, für die der Journalist Ugur Mumcu ein Symbol der kemalistischen Republik war, brachten die Politiker in Zugzwang. Auf einer Pressekonferenz am Wochenende hörte man von dem türkischen Ministerpräsidenten Süleyman Demirel ganz undiplomatische Töne: „Falls unsere Sicherheitskräfte eindeutig offenlegen, daß der iranische Staat verwickelt ist, entsteht eine brisante Situation.“ Der iranische Präsident Rafsandschani sieht Kreise am Werk, die die „Verbesserung der iranisch-türkischen Beziehungen“ untergraben wollen“.
Nur zwei Tage nach der Massenkundgebung in Ankara lauerten Attentäter in Istanbul dem jüdischen Industriellen und Vorsitzenden der jüdisch-türkischen „500-Jahres-Stiftung“, Jak Kamhi, auf. Kamhi überlebte dank seines gepanzerten Fahrzeuges den Anschlag. Am Wochenende wurden die zwei Täter in der östlichen Stadt Van gefaßt, bevor sie in den Iran entkommen konnten. Laut Polizeibericht sagen die Täter aus, daß sie ihre Auftraggeber nicht kennen. Doch der politische Hintergrund eines Attentäters wurde alsbald geklärt: Can Özbilen ist ein politischer Aktivist, der im Januar 1992 in Istanbul islamisch-fundamentalistische Demonstrationen zum Putsch in Algerien anführte. „Algerien wird zum Grab der Laizisten“ war damals die Parole.
Vergangene Woche fand die türkische Polizei die von Folterspuren gezeichnete Leiche von Ali Akbar Gorbani, der ein Mitglied der oppositionellen Volksmujahiddin im Iran war. Dieser Mord wies recht eindeutig in Richtung Iran.
Doch im Mordfall Ugur Mumcu, der zu der bislang größten Machtdemonstration der Laizisten in der Türkei führte, tappt die Polizei weiterhin im dunkeln. Die Schuldzuweisung an die Adresse der islamischen Fundamentalisten und des Iran ohne Indizien und Beweise ist recht fragwürdig. Immerhin waren es die islamischen Fundamentalisten, die den größten Schaden nach dem Mord an Ugur Mumcu davongetragen haben. „Zur Zeit weht der laizistische Terror“, sagt der Chefredakteur der islamischen Zeitschrift Yeni Zemin, Mehmet Metiner. Polizei- und Geheimdienstexperten in der Türkei sind sich nur in einem Punkt einig. Die Professionalität der Killer und die Plastikbombe sind nicht Werk irgendwelcher politisch irregeleiteter Einzeltäter, sondern eines Geheimdienstes. Ömer Erzeren
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