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„Deutliche Zuwächse im klandestinen Sektor“

■ Autonome legen Geschäftsbericht für das Jahr 1992 vor/ Im Wagensport boomte das Modell „abgefackelte Bonzenautos“/ Keine Beanstandung des internen Rechnungshofes

Berlin/Kreuzberg. Während Porsche weiter auf Schleuderkurs schlingert, Sony den letzten Yen für den Potsdamer Platz zusammenkratzt und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) für 1993 den wirtschaftlichen Fallout prognostiziert, reibt man sich in Berlins jüngster und zugleich flexibelster Branche die Hände. „Im jetzt vorgestellten Geschäftsbericht für das laufende Geschäftsjahr 1992 werden zumindest für den klandestinen Bereich deutliche Zuwächse ausgewiesen“, gibt man sich bei der Berliner Filiale der Autonomia AG optimistisch. Die Meldung schlug in den Berliner Wirtschaftsredaktionen ein wie eine Bombe und löste insbesondere in der Berliner Innenverwaltung Zweifel an der Seriösität des Unternehmens aus.

Die Autonomia AG hat nach eigenen Angaben ihren Firmenschwerpunkt in Kreuzberg. Während man sich aus einigen Bereichen wie der Mineralölbranche zurückgezogen habe, teilte die Sprecherin der AG, Milly Tanz, mit, seien bei den wirtschaftlichen Eckpfeilern des Unternehmens hohe Steigerungsraten erkennbar. So entwickelte sich etwa im Sektor Wagensport das neue Modell „abgefackelte Bonzenautos“, obwohl erst im letzten Jahr in die Produktpalette aufgenommen, auf Anhieb als Renner. „Für nächstes Jahr wird somit angestrebt, den längeren Aufenthalt von Bonzenautos im Kreuzberger und Friedrichshainer Kiez zu verunmöglichen“, heißt es in der 17 Seiten starken Geschäftsbilanz, 1994 stehe dann an, auch den Transit durch diese beiden Bezirke zu verhindern.

Was den „Komplex Oberbaumbrücke“ betreffe, messe man sich an der direkten Konkurrenz, der am Bau der Brücke beteiligten Baufirma Kremmer, der man durch das Abfackeln von Baggern und Baufahrzeugen sowie das Versenken eines Schiffes erheblichen Schaden zugefügt habe.

Nicht ganz zufriedenstellend verlief dagegen das als „boomender Sektor“ anvisierte Anti-Olympia-Geschäft. „Hier lag das Ergebnis nicht ganz im Rahmen der gesteckten Erwartungen“, so der Geschäftsbericht, in dem es offenbar in Anlehnung an gewerkschaftliche Forderungen weiter heißt: „Vorteilhaft für das in diesem Bereich eingesetzte Personal ist, daß 1993 nur die ersten drei Quartale gearbeitet werden muß. Ab dem 23. September (dem Tag der Olympia-Entscheidung, d. Red.) können dann Überstunden in großem Rahmen abgebummelt werden.“

Insgesamt weist der Abschlußbericht für das vergangene Geschäftsjahr 73 Aktionen aus, graphisch unterlegt und säuberlich getrennt in die Bereiche Antifa, Olympia, allgemein, Wagensport und Oberbaumbrücke. So seien unter anderem am 5. Januar im Olympiastadion die „Carl-Diem- Gedenktafel entführt“, am 4. Mai in Treptow „Streikbrecherbusse besprüht und Reifen abgestochen“ oder während des Berlin-Marathons Schmierseife gelegt worden. Ein für den 24. April geplanter Brandanschlag auf einen Porsche ist dagegen offenbar gescheitert. In der Bilanz wird er lediglich als Versuch geführt. Vom Unternehmen war gestern nicht zu erfahren, ob dabei Skrupel gegenüber dem kränkelnden Stuttgarter Familienunternehmen eine Rolle gespielt haben.

Den ungeteilten Optimismus für das vorliegende Geschäftsjahr begründete Sprecherin Milly Tanz mit der im Vergleich zur Konkurrenz überlegenen Motivation. Außerdem, so Tanz, habe es längeren Absentismus in Form von U-Haft 1992 nicht gegeben, und auch die sonstigen Fehlzeiten hätten sich im Rahmen des üblichen gehalten. Grünes Licht gab auch der „bewegungsinterne Rechnungshof“: Bei der Abwägung zwischen dem finanziellen Aufwand und dem entstandenen Sachschaden habe es keinerlei Beanstandungen gegeben. Deutliche Mängel gibt es allerdings in der Präsentation der Jahresbilanz. Bei derart florierenden Umsätzen hätte eine Hochglanzbroschüre erwartet werden können. Uwe Rada

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