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Sparfön und Windkanal

■ ARD: Das Erste geht auf Satellit, beim Infokanal soll weiter geprüft werden

Hannover (taz) – „Die ARD ist in schweres Wetter geraten“, erzählte Nordlicht Jobst Plog seinen Intendantenkollegen aus dem Rest der Republik. Doch für den NDR- Chef und ARD-Vorsitzenden ist schweres Wetter noch lange kein Grund, unterzugehen: „Wer richtig ausgestattet ist, empfindet stürmischen Wind als Chance, die Glieder und vielleicht sogar manche Gehirnwindung durchzupusten.“ Doch bevor der Spar- und Rationalisierungsfön durch die Anstalten bläst, will sich die ARD noch mal neue Ausstattungsstücke – etwa den inzwischen etwas windig gewordenen Informationskanal DIKA – zulegen. Und das trotz sinkender Marktanteile und einem prognostizierten Verlust von über 300 Millionen Mark Werbeeinnahmen 1993. Nach den Absichtserklärungen vor gut zwei Monaten haben die ARD-Intendanten jetzt auf ihrer Arbeitssitzung in Hannover die Verbreitung des Ersten per Satellit beschlossen. Ab der Berliner Funkausstellung Ende August soll das ARD-Hauptprogramm über Astra1B zu empfangen sein. Zeitgleich will sich das ZDF auf den Schwestersatelliten Astra1C aufschalten, der im Sommer in den Orbit starten soll.

Grundversorgung in Schüssel-Land in Gefahr

Ausschlaggebender Grund für beide Anstalten ist die schlechte Empfangbarkeit in den neuen Bundesländern. Kabelfernsehen ist dort kaum verbreitet und zudem teuer. Viele herkömmliche Antennenanlagen sind veraltet, der terrestrische Empfang ist nicht überall störungsfrei möglich. Immer mehr Ostdeutsche legen sich deshalb Satellitenschüsseln zu. Rund ein Fünftel der OstglotzerInnen kann das Erste daher nicht empfangen, schätzt die ARD, Tendenz steigend. Beim ZDF ist es ähnlich. Die Öffentlich-Rechtlichen wähnen deshalb den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Grundversorgung in Gefahr und sehen ihre miesen Einschaltquoten in den FNL weiter absacken.

Für die ARD fallen mit der Satellitenverbreitung keine zusätzlichen technischen Kosten an. Man verbannt einfach EinsPlus von Astra, weil der Kulturkanal ja noch über TV-Sat und Kopernikus aus dem All strahlt. Allerdings muß die ARD nach eigenen Berechnungen jährlich 17 bis 35 Millionen Mark für erweiterte Rechte und Lizenzen zahlen. Denn Astra strahlt europaweit, die ARD hat aber oft nur die Senderechte für Deutschland erworben. Daß das ZDF seine zusätzlichen Lizenzkosten auf 60 bis 80 Millionen Mark pro Jahr schätzt, irritiert den zuständigen NDR-Justitiar Klaus Berg wenig. „Wir haben das Risikopotential der Forderungen geringer veranschlagt“, erläutert er zunächst nebulös, um dann standhaft zu verkünden: „Unsere Berechnungen sind gültig und verbindlich.“ Für die ARD-Anstalten bedeutet die Satellitenverbreitung einen weiteren Griff in die strapazierten Kassen. Vor allem für kleinere Funkhäuser ist bei Zusatzausgaben das Ende der Fahnenstange längst erreicht. Sie sehen deshalb keine Chance mehr für das Lieblingsprojekt von ARD-Boß Plog, die Umwandlung von EinsPlus in einen Informationskanal mit kulturellem Schwerpunkt. Doch der NDR-Intendant argumentiert auch nach der ZDF-Absage fleißig weiter für das Vorhaben. Die öffentlich-rechtlichen Sender müßten „alles tun, um ihren immensen Vorsprung im Informationsbereich zu halten“, erklärt Jobst Plog. Auch er hält das Interesse an einem weiteren Infokanal – neben n-tv, Vox und Euronews – für klein, will damit aber „wichtige Multiplikatoren“ ansprechen. Kosten würde das Programm mindestens 50 Millionen Mark, eher deutlich mehr. Aus EinsPlus bekäme man aber nur gut 40 Millionen frei. Hinter dem nötigen Rest steht ein dickes Fragezeichen. Doch Jobst Plog will davon erst mal nichts hören. Der ARD- Obere wünscht sich erst ein „journalistisches Konzept, das programmlich trägt, und dann die Frage, was es kostet“. Einstweilen wird weiter mit dem Auslandsfernsehen Deutsche Welle als letztmöglichem Partner verhandelt. Dabei gehe es allerdings nur um Zulieferungen aus dem 14stündigen Programm des Bundessenders, stellt Plog klar, „es geht nicht um Geld“.

Die Grundzüge für den ARD- Infokanal stehen indes schon. Zwischen sechs Uhr morgens und Mitternacht soll sich zweimal stündlich die „Tagesschau“ melden, mit einer Zehn-Minuten-Sendung zur vollen und einer Fünf-Minuten- Ausgabe zur halben Stunde. Die Zwischenräume würden mit Informations- und Kultursendungen aus den ARD-Anstalten (und vielleicht der Deutschen Welle) gefüllt werden. „Wir haben so viele gute Programme, die zu schade sind, um sie nur einmal zu senden“, erklärt ARD-Programmdirektor Günter Struve mit vollem Ernst. Struve wünscht sich außerdem eine „starke Live-Fähigkeit“ des Infokanals, etwa für Bundestagsdebatten und Minister-Rücktritte.

Bis zur ARD-Hauptversammlung Ende März sollen sich Struve und seine Direktorenkollegen aus den Landesrundfunkanstalten nun abschließende Gedanken über Konzept und Kosten machen. Dann wird entschieden: über einen Alleingang der ARD, eine Kooperation mit der Deutschen Welle oder das Aus für das Vorhaben. Christoph Heinzle

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