: »Was zieht die so'n kurzen Rock an«
Kritik an der Männerdomäne ■ Polizei
: Wenig Verständnis und Betreuung für vergewaltigte Frauen
Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen“ spart in einem Positionspapier „Gewalt gegen Frauen aus polizeilicher Sicht“ nicht mit Kollegenschelte. „Die Polizei ist nicht in der Lage, vergewaltigten Frauen das adäquate Verständnis entgegenzubringen und die notwendige Betreuung zuteil werden zu lassen, die angesichts einer solch schwerwiegenden Tat notwendig wäre.“ Es mangele an ausreichend psychologisch geschultem Personal sowohl in den Wachen als auch in den Kriminalkommissariaten.
Die Struktur und der Bürokratismus der Polizei lassen eine Anzeigenaufnahme bei einer Vergewaltigung schnell zur Tortur werden. Die kritischen Polizisten weiter: „Die Diskriminierung der Frau sowie die Überheblichkeit des Mannes haben sich in dieser Gesellschaft bis in die Gegenwart behauptet. Die Polizei als eine hierarchische Männerdomäne besitzt alle Eigenschaften im patriarchalischen Sinne.“ Aus diesem Grund finde die Thematik „Gewalt gegen Frauen“ innerhalb der Polizei offiziell überhaupt keine Beachtung. „Dementsprechend ist die Bearbeitung der Delikte auf diesem Gebiet in kaum einer Weise frauenspezifisch“, so die Arbeitsgemeinschaft.
Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Frau sucht nach einer Vergewaltigung das nächste Polizeirevier auf. Gekennzeichnet von den schrecklichen Ereignissen betritt sie die Wachstube. Mit argwöhnischen Blicken mustern einige Polizisten die Frau, bevor ein Uniformierter an den Tresen tritt: „Was kann ich für Sie tun?“ Die Frau berichtet aufgelöst von ihren Erlebnissen. Ein Beamter, der das Gespräch an seinem Schreibtisch mithört, flüstert seinem Kollegen zu. „Was rennt die denn auch so alleine spät abends noch auf der Straße herum.“ Der Kollege tuschelt zurück: „Die hat es doch gewollt, wenn die einen so kurzen Rock anzieht.“ Ein weiterer Beamter mischt sich hämisch in das Getuschel ein. „Geschmack hat der ja gehabt“ — der Frau schlägt die geballte männliche Verachtung entgegen.
Der Beamte am Tresen bittet das Opfer, einen Augenblick auf der Bank Platz zu nehmen. Die Frau sitzt dort wie auf dem Präsentierteller. Jeder, der die Wache betritt, gafft sie an, mustert ihre zerzauste Kleidung. Nach einiger Zeit bittet ein älterer Polizist die Frau zur Anzeigenaufnahme in einen Nebenraum. An der Wand des tristen Büroraums befinden sich zahlreiche Pin-up-Girls und Kalender mit Aktfotos von Frauen.
Nach den bohrenden Fragen über die Tatumstände und mögliche Täterhinweise der „angeblichen Vergewaltigung“, wie es dann im Text lautet, heißt es wieder warten in der Wachstube. Erst nach einiger Zeit ist ein Streifenwagen frei, ein Polizist bringt die Frau zum Kriminaldauerdienst der Kripo. Da steht aber an jenem Abend zunächst keine Beamtin zur Verfügung. Es heißt wieder warten auf dem Flur, erneut ist die Frau stierenden Blicken ausgesetzt. Dann abermalige Vernehmung durch eine Beamtin, danach geht es zur Spurensicherung. Die Verletzungen werden peinlich genau fotografiert, der Frau werden die Fingernägel abgeschnitten, für den Fall, daß sie ihren Vergewaltiger bei dem kurzen Gerangel doch verletzt hat. Mehrere Stunden vergehen bei der Polizei — die zweite psychische Strapaze in jener Nacht. Für den kommenden Tag bekommt sie eine Vorladung für das zuständige Fachkommissariat mit auf den Weg, bevor sie endlich nach Hause kann.
Für die Kritischen Polizisten ist ein derartiges Spießrutenlaufen untragbar. Deshalb plädiert die Arbeitsgemeinschaft für eine Dezentralisierung der Fachdienststellen für Sexualdelikte. Doris Holzinger, kritische Polizistin in Hannover: „An jeder Wache muß eine Beamtin oder psychologisch geschultes Personal für derartige Fälle bereitstehen.“ Vor allem müsse einem Beamten oder einer Beamtin von Anfang bis Ende die Sachbearbeitung übertragen werden, der Formalismus auf das Notwendigste beschränkt und Wachräume „bürgerfreundlich“ hergerichtet werden. Holzinger: „Es ist ein Unding, daß Frauen immer wieder mit anderen Beamten konfrontiert werden und ihre Aussagen mehrfach wiederholen müssen. Die bringen ja teilweise Stunden bei der Polizei zu. Es gibt nicht umsonst genügend Frauen, die nie wieder zur Polizei gehen würden.“
In Hannover läuft zur Zeit ein Modellversuch. Dort stehen in einer Wache geschulte PsychologInnen bis ein Uhr nachts bereit, um notfalls die Frau nach einer Sexualstraftat auch zu Hause aufzusuchen. Holzinger: „Für ganz Hannover nur einen einzigen derartigen Anlaufpunkt einzurichten ist natürlich viel zu wenig.“ In Hamburg sieht es noch trüber aus: Hier werden solche Modellversuche nicht einmal in Erwägung gezogen. Astrid Burkhardt/Kai von Appen
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