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Ein Wellensittich fährt Aufzug

■ Der Kunstverein zeigt auf der Fleetinsel eine Ausstellung mit Gefühlsmaschinen des New Yorkers Jon Kessler

des New Yorkers Jon Kessler

Wenn man „Martin“ zu nahe kommt, kann es passieren, daß man sich später angetrocknete Ketchupflecken von der Hose kratzt. Denn Martin ist ein pausenlos die obligate rote Soße auf den Boden spuckender Quader, aufgelegt auf ein Stahlgestell und eingehüllt in vom Tomatenbrei gebatikte Leinwand. Mit dieser und weiteren Arbeiten des 36jährigen New Yorkers Jon Kessler eröffnete der Hamburger Kunstverein gestern seine erste Ausstellung im nunmehr dritten Interimsdomizil seit Abriß des Kunstinsel-Pavillons – in einem ehemaligen Fahrradgeschäft auf der Fleetinsel. Die Jon Kessler-Austellung ist ein Beitrag „aus geziemender Distanz“, so Kunstverein-Chef Stephan Schmidt-Wulffen, zum allgegenwärtigen Mediale-Rummel.

„Die Welt ist in meinem Kopf und mein Körper ist in der Welt“, sagt Jon Kessler. Die fest ineinander verzahnte „Mechanik“ von Welt und Kopf und Körper, von vielen verschiedenen Zeitläufen und Kulturkreisen hat er in seinen „Gefühlsmaschinen“, so der Titel der Ausstellung, bis an die Grenze zur Kuriosität im wahrsten Sinne des Wortes „betrieben“.

An zum Teil sicht- und hörbaren Impulsen, Antrieben und Übersetzungen jeder Art fehlt es entsprechend nicht: Im ehemaligen, mit einem großen Schaufenster versehenen, Ladenraum setzt ein überdimensionaler Turnschuh aus Gips diverse Mechanismen in Gang; während auf einem Plattenspieler am Boden ein Beach-Boys-Titel ansurft und unversehens absäuft, beginnen die impulsgesteuerten Plastikblumen im Fenster ihren Tanz. Vor einer dottergelben Wand lehnt die Zeichnung von einem maschinellen Kuh-Bein. Ein besonders fußlastiger Abschnitt über, so Kessler, künstliche, „animierte Natur“.

Ungefähr in der Mitte des zentralen und größten Ausstellungsraumes, den Jon Kessler selbst als den „emotionalen Raum“ bezeichnet, steht Birth of a clown: aus einer Seite des kniehohen weißen Würfels ragen Rumpf und Beine einer koboldhaften Gummi-Figur, die sich über enge elekronische Kreisbewegungen in den Korpus hinein- oder auch hinauszuschrauben versucht. Das Objekt, das der ganzen Ausstellung ihren Namen gab, die Feeling Maschine liefert nahe dem Fenster zum Fleet den „Soundtrack“, so Kessler, für drinnen und draußen: Der alte Popkitsch-Hit „Feelings“ ertönt als ewige Weise, überstrapaziert und automatisiert.

Die Vision, daß Vögel künftig nicht mehr fliegen, „sondern den Aufzug nehmen“, hat Jon Kessler in Bird-Runner veranschaulicht: Vor der Foto-Kulisse glänzender Hochhaus-Fassaden fährt ein ausgestopf-

1ter Wellensittich (?!?) auf und ab. „Nicht Entertainment und Technologie an sich, sondern darüber“ gehe seine Arbeit, sagt der New Yorker. Zwischen beidem bewegt er sich, und das abenteuerliche, teils fast anrührende an seinen Objekten ist, daß er aus dem Vollen

1schöpft und sich auf alles mögliche beruft. Auf Kinderspielzeug, wie in Garage, auf japanische Kirschblüten und Askese in Japanese Box oder auch auf Giacometti, Magritte und Big Brother in America.

Was die „Gefühlsmaschinen“ von Jon Kessler außerdem sehr

1sinnlich und lebendig macht, ist ein feiner freundlicher Narzißmus, der nicht in seiner Kunst, sondern im Künstler selbst liegt und mit dem Kessler seine Objekte tatsächlich bereichert. Mechthild Bausch

Michalisbrücke 3, Di. bis So. 11 bis 18 Uhr; bis 14.3.

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