Berliner sind toleranter als Bundesbürger

■ Ausländerbeauftragte stellte Umfrage vom Herbst vor: 89 Prozent lehnten „Ausländer raus“-Parolen ab, im Bundesgebiet waren es nur 43 bzw. 69 Prozent

Berlin. Die Berliner sind offenbar ein ganzes Stück toleranter gegenüber Nichtdeutschen als die Bundesbürger. Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts „inTrend“, die die Ausländerbeauftragte Barbara John gestern vorstellte, lehnen knapp 89 Prozent der Berliner die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ ab. Laut einer vergleichbaren Spiegel-Umfrage stellten sich im Bundesgebiet vor dem Mordanschlag in Mölln nur 43 Prozent gegen den Haßslogan, danach waren es 69 Prozent. Da die Möllner Bluttat einen Meinungsumschwung bewirkte, hätte das Berliner Ergebnis danach wohl noch besser ausgesehen, vermutete Frau John. Denn die je 900 Bewohner Ost- und Westberlins waren größtenteils noch vor jenem Attentat am 25. November befragt worden.

Aber auch so, glaubt die Ausländerbeauftragte, sei das Ergebnis geradezu sensationell: „Mit dieser hohen Ablehnungsquote kann Berlin als Nummer eins angesehen werden, wenn es um Zustimmung zu Buntheit und Internationalität und um Verzicht auf nationalistische Abgrenzung geht.“ Nur einer von 100 Berliner Befragten hatte besagtem rassistischen Slogan „voll und ganz“ zugestimmt. Drei Prozent stimmten „eher zu“, sieben „eher nicht“ und 89 „überhaupt nicht“. Bei der Spiegel-Umfrage waren es fünf Prozent der Bundesbürger vor bzw. vier Prozent nach Mölln, die dem „voll und ganz“ beipflichteten. Der Prozentsatz derjenigen, die der Parole „eher“ zustimmten, sank dort nach der Blutnacht von 27 auf 15 Prozent. Aus anderen Großstädten sind keine Umfragen bekannt, allerdings dürfte auch dort die Toleranz größer sein als im Bundesdurchschnitt.

Weiteres interessantes Detail: Im Gegensatz zu früher sind nunmehr in Berlin fast überhaupt keine „System“-Unterschiede mehr erkennbar: 89 Prozent der Westberliner und 87 Prozent der Ostberliner zeigten sich resistent gegenüber Ausländerhassern. Und: „Auch wenn es nicht um Bekenntnisse, sondern um praktische Folgen des Zusammenlebens geht, erstaunt der Gerechtigkeitssinn der Berliner“, begeisterte sich Barbara John. 95 Prozent der Befragten in West und Ost hatten es für richtig befunden, wenn hier geborene oder aufgewachsene nichtdeutsche Jugendliche die gleichen Berufschancen haben, „nur“ vier Prozent wollten den Deutschen einen Vorrang eingeräumt sehen. Und insgesamt 69 Prozent – 71 im Osten und 69 im Westen – zeigten sich nicht damit einverstanden, daß straffällige Nichtdeutsche ausgewiesen werden. Hier lautete die Frage: „Angenommen ein junger Ausländer und ein junger Deutscher, beide in Berlin geboren, werden wegen räuberischer Erpressung verurteilt. Finden Sie es richtig, daß der junge Ausländer ausgewiesen wird?“ Auch die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter sollen nach der Mehrheitsmeinung bleiben dürfen. 49 Prozent in Ost und West waren sogar der Meinung, „ohne jede Bedingung“, 47 Prozent meinten, „wenn sie einen Arbeitsplatz haben, 4 Prozent wollten sie „unter keinen Umständen“ weiter im Lande sehen.

„Es ist nicht die Bevölkerung“, schlußfolgerte Frau John, „die die rechtliche Ungleichheit aufrecht erhalten wissen will“. Nach ihrer Meinung sähen die Gesetze sicherlich „integrationsfreundlicher“ aus, wenn die Berliner „daran mitgeschrieben hätten“. Wohl wahr, und womöglich hätten wir hier dann auch noch eine ganze Reihe von Moscheen stehen. Denn die netteste Frage im Katalog lautete folgendermaßen: „In Berlin leben ca. 160.000 Muslime. Sie haben den Wunsch nach einer ansehnlichen Moschee. Würden Sie den Bau einer solchen Moschee genehmigen?“ Auch hier zeigten sich die Berliner überwiegend liberal: 78 Prozent – 81 im Westen und 74 im Osten – würden das selbstredend tun, nur 13 Prozent – 12 in West und 16 in Ost – lehnten dieses Ansinnen ab.

Differenzierter zeigte sich das Bild allerdings bei der Frage nach der Einbürgerung. 31 Prozent der Befragten – 33 im Westen und 28 im Osten – sagten aus, man müsse diese erleichtern. 30 Prozent – 32 im Westen und 28 im Osten – meinten, die Regelungen sollten so bleiben wie bisher. Und 26 Prozent – 23 im Westen und 30 im Osten – wollten sie erschweren. Der Rest zeigte sich unentschlossen. Dennoch: Im Westen und vor allem im Osten ist die Zustimmung zu Einbürgerungserleichterungen im Vergleich zu den Umfrageergebnissen von 1990 deutlich gestiegen. 94 Prozent der Zustimmenden sprachen sich konkret dafür aus, hier geborenen Kindern die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn bereits ein Elternteil hier auf die Welt kam. Und 71 Prozent befürworteten die doppelte Staatsbürgerschaft.

Umgekehrt hat die Liberalität aber ein Ende, wenn es um die Bestrafung von sogenannten Haß- und Vorurteilsverbrechen geht. 62 Prozent der Befragten sprachen sich hier für „besonders harte“ Strafen aus. Ute Scheub