: Helfende Hände
■ Geistheilung ist in England eine anerkannte Therapie und hat auch in Deutschland Fuß gefaßt
Stellen Sie sich vor, Sie müssen ganz plötzlich ins Krankenhaus, weil Sie unter akuten Herzrhythmusstörungen leiden und rasende Kopfschmerzen haben. Nachdem Sie einmal rundum durchgecheckt wurden, führt sie ein Krankenpfleger in ein wohnlich eingerichtetes Zimmer. Kurze Zeit später kommt statt eines weißbekittelten Doktor Wichtig eine normal gekleidete Frau herein, begrüßt Sie freundlich, erkundigt sich nach den Beschwerden und ihren Problemen im Alltag. Daß Streß und Sorgen aus ihnen eine kranke Kreatur gemacht haben, wird jedem deutlich, der Ihnen zuhört. Schließlich fordert diese Frau Sie auf, eine entspannte Sitzhaltung einzunehmen. Sie legt Ihnen die Hände auf und betet für Sie.
Sie wissen nicht, wer da Hand an Ihnen anlegt? Wahrscheinlich eine Person, die es laut Gesetzgebung in Deutschland gar nicht gibt: eine Geistheilerin. Was in unseren Landen schwer nach esoterischer Spinnerei klingt, hat in anderen Ländern schon längst Einzug gehalten. Geistheiler und somit die Heilung auf dem geistigen Wege gibt es zum Beispiel in etlichen englischen Krankenhäusern und Gesundheitszentren bereits seit Ende der 50er Jahre. Selbst von seiten der Regierung wird die geistige Heilung als eine im staatlichen Gesundheitsdienst voll anerkannte Therapie betrachtet. In der deutschen Gesetzgebung taucht der Begriff des geistigen Heilens hingegen überhaupt nicht auf. Dabei war einer der größten Verfechter der Geistheilung in diesem Jahrhundert selbst ein Deutscher mit Namen Bruno Gröning. Er und andere geistige Heiler machten immer wieder darauf aufmerksam, daß bei jeder Krankheit nicht nur die physischen Symptome eines Menschen behandelt werden müssen, sondern auch die Seele. Geistheiler verweisen dabei auf die Notwendigkeit einer Bewußtseinsänderung, bevor ein Heilungsprozeß in Gang kommt. Nimmt also ein Therapeut durch Handauflegen Kontakt mit der Seele des Kranken auf, soll dies indirekt einen Wandel fehlgeleiteter, krankmachender Emotionen bewirken.
Daß die Schulmedizin solch wissenschaftlich schwer faßbares Territiorium weit von sich weist, versteht sich fast von selbst. Dennoch haben Geistheiler auch in Deutschland immer wieder versucht, eine Zusammenarbeit mit Ärzten zu erreichen, jedoch weitaus weniger erfolgreich als in England. Sollte Ihnen daher tatsächlich einmal jemand im Krankenhaus heilend die Hände auf Ihr Haupt legen und für Sie beten, könnte das eher Ihre letzte Salbung sein als eine heilende Kraft. Elvira Schäfer
Literatur: Höhne, A.: „Geistheiler heute“; Riedel-Michel: „Geistheilung als Ergänzung zur Medizin“; Schmidt, K.O.: „So heilt der Geist“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen