: Harte Vorwürfe gegen Freiburger Polizei
Im „Paketbomben“-Mord an der Linksautonomen Kerstin Winter in Freiburg gibt es offiziell keine neuen Hinweise auf die Täterschaft/ Die Polizei steht vor einem Scherbenhaufen ■ Aus Freiburg Uli Fuchs
„Unsachlich, weiter!“ So die harsche Antwort des Chefs der Freiburger Staatsanwaltschaft, Franz Isak. Ob es denn „Unfähigkeit“ gewesen sei, hatte der Mitarbeiter des linksalternativen Senders Radio Dreyeckland wissen wollen, daß die Polizei noch nicht intensiver in rechtsradikalen Kreisen ermittelt habe. Der Ort des Geschehens: eine Pressekonferenz der Ermittlungsbehörden, heute vor 14 Tagen. Am Tag, nachdem die 24jährige Kerstin Winter durch einen Paketbombenanschlag ermordet worden war.
Inzwischen stehen die Fahnder, so das Regionalfernsehen am Mittwoch, „vor einem Scherbenhaufen“. Die zunächst aufgrund des wieder zusammengesetzten Absenders „Mord Rim“ in Richtung der mit der autonomen Szene im Streit liegenden linken Splittergruppierung RIM laufenden Ermittlungen bleiben genauso ergebnislos wie Spekulationen über die Täterschaft einer „Drogenmafia“. Vor einer Woche präsentierte die Polizei dann doch einen „Fahndungserfolg“. Kerstin Winters Freund, der beim Anschlag mit in der Wohnung war, wurde unter „dringendem Tatverdacht“ verhaftet. Hauptindiz: ein Schriftgutachten, das den Beschuldigten mit, wie der Freiburger Staatsanwalt Wolfgang Maier heute sagt, „über 50 Prozent Wahrscheinlichkeit“ als möglichen Verfasser des Paketabsenders sieht.
Inzwischen ist der Beschuldigte wieder auf freiem Fuß. Der gleiche Gutachter kam ein paar Tage nach der Verhaftung zum Schluß, daß es jetzt „eher unwahrscheinlich“ ist, daß der Freund das Paket beschriftet hat. Die Feuerlöscher am Arbeitsplatz, die als weiteres Indiz gehandelt wurden, erwiesen sich „beim ersten Angucken“ (Staatsanwalt Maier) als von „anderer Bauart“ als der bei der Herstellung der Bombe verwendete.
Trotzdem bestehen die Ermittlungsbehörden weiterhin auf „erheblichen Verdachtsmomenten“. Staatsanwalt Maier kann „wegen der laufenden Ermittlungen“ nicht alles sagen, will aber ein „Beispiel nennen: Im Zimmer des Beschuldigten ist ein Filzstift gefunden worden, der von der gleichen Art ist wie der, mit dem das Paket beschriftet wurde.“ Den Einwand, „den finden sie bei mir wahrscheinlich auch“, hat Maier „auch schon von anderen Journalisten gehört“. Nur hört sich das für ihn anders an, „wenn man den Umstand dazunimmt, daß die Bombe ohne das Risiko einer Explosion nicht über weitere Strecken hätte transportiert werden können“. Maiers Kollege, der Oberstaatsanwalt Peter Fluck, ist bei der Nennung der Indizien freizügiger. Eine Anleitung zum Basteln von Bomben war bei Kerstins Freund gefunden worden. Fluck weiß inzwischen aber auch, daß die Bombe „mit großer Wahrscheinlichkeit“ nicht in der Wohnung gebaut wurde.
Das ist nicht der einzige Widerspruch, in den sich die Fahnder derzeit verwickeln. Daß Zeugen mit der Nennung von zwei aus dem rechtsradikalen Milieu bekannten Namen angegeben hatten, daß Kerstin Winter bedroht worden war, räumt Maier ein. Aber hierzu gibt es nur das lapidare „Wir gehen jedem Hinweis nach“. Ergebnisse liegen noch nicht vor. Das gilt auch für den Hinweis, daß Neonazis auf der Freiburger Müllkippe mit selbstgebastelten Bomben experimentiert hätten.
Dagegen war Mitte der Woche, von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, eine weitere Person festgenommen und am gleichen Tag wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Sie war dabei beobachtet worden, wie sie Abfälle „in verschiedene Mülleimer“ (Staatsanwalt Maier) geworfen hatte. Auch in diesem Fall stammte der Festgenommene aus dem Bekanntenkreis Kerstin Winters.
Unbeantwortet geblieben ist bis jetzt auch die Frage nach einem möglichen Zusammenhang mit einem Paketbombenanschlag in Köln. Dort war ein Paket vor der Wohnungstür einer türkischen Familie abgelegt worden. Beim Öffnen war, so die Kölner Kripo, nur der Zünder verpufft, die Bombe selbst aber nicht explodiert – „sonst hätte es Tote gegeben“. Letzte Auskunft der Staatsanwaltschaft: Auf das Ersuchen an das Landeskriminalamt Nordrhein- Westfalen, den Aufbau der Kölner Bombe mitzuteilen, gibt es „noch keine Antwort“.
„Man kann nicht der sicheren Auffassung sein“, sagte der Anwalt des Freundes von Kerstin Winter nach dessen Freilassung, „daß die Täter Neofaschisten waren. Sicher aber ist, daß in dieser Richtung unzulänglich ermittelt wurde.“
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