: „Im Sommer keine Fliegen mehr“
Giftmüll aus Deutschland verseucht seit Monaten die schönste Landschaft Siebenbürgens. Umweltminister Töpfer verspricht, die lecken Fässer zurückzuholen. Aber in Rumänien glaubt niemand daran. ■ Aus Sibiu Keno Verseck
Früher, erzählt der Deponiewärter, wohnte im Lagerschuppen eine große, schwarze Katze. Sie fing dort die Mäuse. Manchmal kletterte sie auf das Dach, beobachtete, was vor sich ging, oder streckte sich aus. Vor einigen Monaten wurde der giftige Müll im Schuppen abgestellt. Und eines Tages fiel die Katze tot vom Dach.
Der Wärter der Mülldeponie im siebenbürgischen Hermannstadt (Sibiu) sagt nicht, daß er noch lebt. Auf die Frage nach seinem gesundheitlichen Befinden antwortet er mit der Geschichte von der Katze. Im dunklen Lagerschuppen stapeln sich Dutzende von Fässern und Hunderte von Papiersäcken. Ein Geruch wie von Nitroverdünnung sticht in die Nase. Das Giftarsenal droht eine der schönsten Regionen Siebenbürgens zu verseuchen. Pestizide, Spachtelmasse, Holzschutzmittel – Jahre alt, das Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen.
In eine offene Grube neben der Deponie wurden lose Giftabfälle gekippt. Die Tonschicht in der Grube soll verhindern, daß die Abfälle ins Grundwasser sickern, heißt es, aber niemand weiß genau, ob das stimmt. Die Grube ist weder eingezäunt noch abgedeckt. Auf einem winzigen, handgemalten Holzschild steht: „Todesgefahr!“. „Wenn der Geruch sich in der warmen Zeit ausbreitet, fühle ich mich immer schlecht“, sagt der Wärter und zuckt mit den Schultern.
Die giftigen Abfälle kamen aus Deutschland. Mindestens 2.000 Tonnen brachten deutsche Müllhändler seit Herbst 1991 nach Rumänien. Die Ladungen waren als „Wirtschaftsgut“, „humanitäre Hilfslieferungen“ oder „Geschenke der Treuhand“ deklariert. Eines der ärmsten Länder Europas – gerade gut genug als billige Müllhalde für eines der reichsten Länder der Erde.
In Deutschland hätte die Entsorgung des hochgiftigen Sondermülls zwischen 1.500 und 11.000 Mark pro Tonne gekostet. Die deutschen Müllhändler, die die Transporte nach Rumänien arrangierten, kamen mit einem Bruchteil der Summe aus. Behörden der beiden Länder stellten für die Transporte zumeist ordnungsgemäße Papiere aus, obwohl ihnen bekannt war, um was für Geschäfte es sich handelte.
450 Tonnen Giftmüll konnten Greenpeace-Mitarbeiter aus Deutschland und die rumäniendeutsche Journalistin Annemarie Weber seit Frühjahr 1992 entdecken. Er lagert an acht verschiedenen Orten im Kreis Hermannstadt. Laut der Baseler Konvention über Müllexporte wäre Deutschland, als einer ihrer Unterzeichner, verpflichtet, den Müll zurückzunehmen.
„Die deutschen Politiker haben kein Interesse daran, schnell etwas zu tun“, sagt Annemarie Weber, die zusammen mit Freunden eine regionale Umweltbewegung ins Leben gerufen hat und an einen Rücktransport erst dann glauben will, wenn der Müll aufgeladen wird. „Siebenbürgen ist weit weg, und vor allem wissen die Deutschen, daß sie nicht die Kapazitäten haben, ihren gesamten Müll allein zu entsorgen. Also werden solche halblegalen und illegalen Exporte geduldet, und die zuständigen Politiker schert es nicht, was in Rumänien passiert.“
Gegen die Müllhändler wird nicht oder nur schleppend ermittelt, in Deutschland wie in Rumänien. Sie befinden sich allesamt auf freiem Fuß. Einer der rumänischen Giftmüll-Importeure, Dan Alexandru, verschwand, nachdem ihn die Behörden inhaftiert und dann wieder freigelassen hatten. Im Hof seines Hauses in der Hermannstädter Anghel-Savigny-Straße 4 bellen ein paar Hunde, vor der Garage steht ein weißer Mercedes. Niemand öffnet.
Der Giftmüll jedoch, den die beiden deutschen Müllhändler Jürgen Holz aus Dresden und Wolfgang Pelger aus Nürnberg an Alexandru verkauften, ist nicht verschwunden. Am Ortsausgang des Dorfes Miercurea Sibiului (Reussmarkt), 40 Kilometer westlich von Hermannstadt, stapeln sich auf einem notdürftig überdachten Lagerplatz Hunderte von Fässern und Tausende von Säcken, Eimern und Kanistern. Außer einem verängstigtem Hund bewacht schon lange niemand mehr den Hof. Das Tor läßt sich mühelos öffnen.
Viele Fässer sind verrostet und geplatzt, in offenen Containern lagert ein weißes, klumpiges Granulat, von dem keiner weiß, was es enthält. Aus einem durchlöcherten Faß ohne Aufschrift ist eine rotbraune Substanz herausgeflossen und hängt in gefrorenen Zapfen herab. Gleich daneben ein aufgeplatztes Faß mit Kühlkonzentrat von der Ford-Köln AG, Aufschrift: „Sonderabfall“. Ansonsten: Trizilin, Ditox, Olanin, Biphagitol, Elbanox – Pestizide aus den ehemals volkseigenen Chemie-Betrieben in Bitterfeld, Leuna, Leipzig und Magdeburg – Haltbarkeit abgelaufen. Sie sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in Rumänien längst verboten.
Neben dem Giftlager wohnt im Haus 605 die 62jährige Rentnerin Maria Damian. Nur ein paar Meter trennen ihr kleines Maisfeld von den Fässern. „Im Sommer habe ich meinen Mais gehackt“, erzählt sie. „Vier Reihen, da ging es noch, und in der fünften Reihe konnte ich es nicht mehr aushalten, es war so eine stickige, schwere Luft, daß ich nicht mehr atmen konnte. Meine Zunge wurde ganz weiß, ich hatte keinen Speichel mehr, und meine Lippen waren wie verbrannt. Ich bin dann immer nur frühmorgens und abends herausgegangen. Mein ganzes Leben lang war ich gesund, nun bin ich seit dem Sommer herzkrank, und meine Beine werden dick. Über den Brunnen habe ich einen Deckel gelegt, damit der Geruch nicht hereinzieht, aber wie es mit dem Wasser ist, weiß ich nicht. Und von meinem Mais habe ich mich noch nicht getraut zu essen.“
Die Umweltschutzagentur in Sibiu hat eine Inventurliste des gesamten Mülls aufgestellt. Laut Aufschriften auf Behältern wurden 121 Substanzen identifiziert, bei denen es sich zumeist um in Deutschland wie in Rumänien verbotene Giftstoffe handelt. Was sich in den vielen Behältern ohne Aufschrift befindet, war meist nicht feststellbar, dem Labor der Umweltschützer stehen nur einfache Apparaturen zur Verfügung. Theodor Calamet, Direktor der Umweltschutzagentur, warnt nicht nur vor einer drohenden Grundwasser-, Nahrungsmittel- und Bodenvergiftung. „Wenn es anfängt warm zu werden, besteht die Gefahr, daß die Fässer explodieren. Viele Pestizide sind feuergefährlich und haben einen Flammpunkt zwischen 20 und 30 Grad.“
Im Oktober 1992 kam eine Kommission des TÜV-Rheinland und einer Hessischen Abfall-Firma im Auftrag der deutschen Regierung nach Hermannstadt und untersuchte die Lagerstätten. Sie empfahl, daß der Rücktransport des Giftmülls noch vor dem Winter stattfinden sollte, da die Flüssigkeiten während der kalten Jahreszeit gefrieren und die Fässer und Kanister aufplatzen könnten. Um das zu verhindern, gebe es in Rumänien weder geeignete Lagerstätten noch Entsorgungsmöglichkeiten. Umweltminister Töpfer sicherte, wie schon einmal im Juni, den Rücktransport zu.
Drei Bundesländer – Bayern, das Saarland und Schleswig-Holstein – weigerten sich, die Kosten mitzutragen. Der Giftmüll stamme nicht von ihnen. Dabei waren es ausgerechnet die bayerischen und saarländischen Umweltminister Peter Gauweiler und Jo Leinen gewesen, die die meisten Müllexporte genehmigt hatten.
Nachdem bis zum Wintereinbruch kein einziges Gramm Giftmüll aufgeladen war, trat das ein, was die Gutachter vorausgesagt hatten. Der schlimmste Unfall ereignete sich auf der Obstplantage Dacia-V in Miercurea Sibiului. Hier lagern in einer Halle etwa 80 Fässer mit alten Pestiziden; 54 weitere, zum größten Teil undichte, draußen, genau neben den Apfelbäumen, in Containern. Im Keller des Lagerhauses, wo sich Tausende Kanister und Säcke bis an die Decke stapeln, lief Mitte Januar eine große Menge an Pestiziden aus. Noch sind Spuren sichtbar. Der Boden des Kellers ist mit einer gefrorenen gelben Substanz überzogen, die einen unerträglichen Geruch verbreitet. Brechreiz und ein trockener Mund sind die Folgen eines einminütigen Aufenthaltes im Keller.
„Seit dem Unfall kommen die Leute täglich zu mir und fragen, wann das Zeug endlich wegkommt“, sagt der Bürgermeister von Miercurea Sibiului, Balanel Maris. „Viele klagen über Hautreizungen, Ausschlag, Schläfrigkeit und Kopfschmerzen. Außerdem vermuten wir, daß die Stoffe in unseren Fischteich gelangt sind, denn dort gab es vor kurzer Zeit ein großes Fischsterben.“
Im Juli 1992 blockierten Bewohner aus Miercurea Sibiului und den umliegenden Dörfern die Europastraße 68, die hier entlangführt. Später war der deutsche Botschafter aus Bukarest da und versprach alles zu tun, damit der Giftmüll abtransportiert wird. Sogar der rumänische Präsident Ion Iliescu kam ins Dorf. Nichts geschah. „Unsere Geduld ist am Ende“, sagt Maris, „über die Finanzierung des Rücktransportes kann man doch später reden.“
Die Leute aus der Gegend und die Behörden in Hermannstadt schrieben Briefe an die Umweltminister von Rumänien und Deutschland, Briefe an den rumänischen Präsidenten und den Bundeskanzler, es gab Veranstaltungen und Demonstrationen. Greenpeace kam mit einem Lkw und fuhr 12 Fässer nach Deutschland zurück. Seit einer Woche blockieren Schulkinder das deutsche Konsulat mit Giftmüll. Sie wollen solange bleiben, bis das deutsche Umweltministerium kommt und die Fässer auflädt. Der Konsul sympathisiert mit der Aktion der Kinder.
Niemand versteht, warum das reiche Deutschland seinen Müll nicht zurücknehmen will. Eine kleine Alte aus Miercurea Sibiului, die gegenüber dem Giftlager am Ortsausgang wohnt, kommt aufgeregt angelaufen, den Tränen nahe. „Wir sterben, unsere Hühner sterben, und das Gift bringen sie doch nicht weg. Ich habe einen Sohn in Sebes, jetzt kommt er nicht mehr nach Hause, weil die Fässer hier stehen.“ Die Bewohner schöpfen ein wenig Hoffnung, weil wieder ein paar deutsche Presseleute gekommen sind und zu Hause vielleicht über die Verzweiflung im Dorf berichten. Deshalb sollen sie auf Gemeindekosten zum Essen eingeladen werden.
Samuel Rieger glaubt trotzdem nicht mehr daran, daß der Giftmüll abtransportiert wird. Er wohnt am Marktplatz des Dorfes Apoldu de Sus (Großpold), 30 Kilometer westlich von Hermannstadt. Eines Abends, im Herbst 1991, hielt hier ein deutscher Lastwagen. Der Fahrer schmiß die Fässer, die er geladen hatte, einfach auf das Pflaster und rollte sie dann in den Hof des Hauses 451 – ein verlassenes Anwesen ausgewanderter siebenbürgischer Sachsen. Gleich neben dem Anwesen, in dem die 143 zerbeulten Fässer voller Trizilin vor sich hinrosten, wohnt der Rentner und frühere Kellermeister Samuel Rieger. „Seitdem die Fässer hier sind“, sagt er, „gibt es im Sommer keine Fliegen mehr.“
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