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Die letzten Schüsse

■ Achter Mauernschützenprozeß eröffnet, im siebten wurde weiterverhandelt / Ex-Offizier bestreitet Tötungsabsicht

Berlin. Im Mauerschützenprozeß um die vermutlich letzten Schüsse auf Menschen an der Berliner Mauer hat der Angeklagte am ersten Verhandlungstag bestritten, in Tötungsabsicht geschossen zu haben. Während das Verfahren gegen den 49jährigen Ex-Offizier der DDR-Paßkontrolle vor dem Berliner Landgericht eröffnet wurde, setzte eine andere Kammer den Prozeß gegen zwei Ex-DDR-Grenzer fort, denen die tödlichen Schüsse auf Michael Bittner vorgeworfen werden.

In dem gestern eröffneten achten Mauerschützenprozeß ist der 49jährige angeklagt, am 8. April 1989 am Grenzübergang Chausseestraße auf den Flüchtling Bernd Greiser geschossen zu haben, um ihn zu töten. Der Beschuldigte, dem versuchter Totschlag – Höchststrafe 15 Jahre Haft – vorgeworfen wird, betonte, er habe mit seiner Pistole „über die Person“ geschossen. Dagegen sagte Greiser, der unverletzt nur sechs Meter vor der Grenzlinie festgenommen worden war: „Ich bin der Meinung, er wollte mich töten.“ Er befand sich damals zusammen mit seinem gleichaltrigen Freund Michael Bachmann bereits zwischen der letzten Betonbarriere und der Schranke nach West-Berlin, als der Hauptmann aus seinem Häuschen trat. Bernd Greiser sagte aus, der Offizier habe gezielt auf ihn geschossen. Er habe das Mündungsfeuer aufblitzen sehen, die Rufe „Halt, stehenbleiben“ aber nicht verstanden.

Die Flucht Greisers und seines Freundes Michael Bachmann war damals durch die Weltpresse gegangen. Sie war von zahlreichen Besuchern einer Empore beobachtet und auch fotografiert worden. Dabei wurden Bilder aufgenommen, die den Angeklagten mit einer fast aufgerauchten Zigarette im Mund und der Waffe in der Hand zeigen.

Im siebten Mauerschützenprozeß gegen die beiden Grenzer sagte ein früherer Vorgesetzter als Zeuge aus, die beiden seien nach den Schüssen am 24. November 1986 erschüttert gewesen und hätten ihre Handlungsweise nicht begreifen können. „Sie haben nach den Gesetzen der DDR gehandelt und brauchen sich keine Vorwürfe zu machen“, sagte der Ex-Kommandeur des 38. Grenzregiments.

Er bestätigte Aussagen anderer Zeugen, wonach sich der flüchtende Michael Bittner bereits „unmittelbar auf der Mauer“ befunden habe, als geschossen wurde. Nach seinen Worten war in der Schußwaffenverordnung der DDR-Grenztruppen festgelegt, daß bei Fluchtversuchen kein Dauerfeuer anzuwenden sei. Einer der beiden Angeklagten hatte am ersten Verhandlungstag zugegeben, mit seiner Kalaschnikow nach Warnschüssen das Dauerfeuer eröffnet zu haben. dpa/taz

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