Blöcke für „Familien und Prostituierte“

■ Wettbewerb für Bahnhof Friedrichstraße erbringt stumpfen Entwurf/ „Kritische Rekonstruktion“ des Stadtraumes

Berlin. Die zugigen Areale vor dem Bahnhof Friedrichstraße sollen mit kompakten Häuserblocks in der traditionellen Struktur der Friedrichstadt bebaut werden. Nach der Entscheidung des „städtebaulichen Wettbewerbs S-Bahnhof Friedrichstraße“ für den Entwurf der Berliner Architekten Johanne und Gernot Nalbach ist geplant, nördlich des denkmalgeschützten Bahnhofs ein dreieckiges Hotelgebäude zu errichten. An den Admiralspalast soll sich ein sechsgeschossiger Bau für Werkstätten des Theaters, Büros und Läden anschließen. Für das südliche Gelände entwarfen die Architekten eine langgezogene, teilweise überdachte Ladenpassage und einen Block für Büros und andere Dienstleistungsbereiche. In dem Konzept finden sich außerdem sechs skulpturale Türme für „Parkregale“. Der „Tränenpalast“ soll nach den Vorstellungen der Architekten erhalten bleiben.

Städtebaulich bildet der Entwurf „keine Konkurrenz zu der benachbarten Dominante des Internationalen Handelszentrums (IHZ), sondern orientiert sich an der flächigen Bebauung der Umgebung“, kommentierte Gernot Nalbach das Modell. Der zirkelschlagende Maßstab der Berliner Traufe von 22 Metern präge die Höhenordnung. Nalbach verengte auch das Straßenprofil auf 22 Meter Breite und führt eine Straßenbahntrasse in der Mittellage.

Der preisgekrönte Entwurf mit einer Fläche von rund 200.000 Quadratmetern Bruttogeschoßfläche stellt nach Ansicht von Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer einen „vernünftigen Beitrag ohne Extravaganzen dar, der die Gegend nicht unterwirft“, sondern diese weiterentwickelt. Der „einmütige Beschluß der Jury“, so Hassemer, habe „Dimension und Klarheit für diesen bedeutsamen Raum“ geschaffen. Die sich nun anschließenden Planungen für die unterschiedlichen Architekturen müßten „sehr bald in Gang kommen“. Die Bauten mit einem Investitionsvolumen von rund einer Milliarde Mark könnten nach seiner Ansicht noch in diesem Jahrzehnt realisiert werden.

Anlaß des Wettbewerbs waren die Vorhaben zahlreicher Investoren sowie die geplante Aufwertung des historischen Stadtraums, der, laut Auslobung, zu einem attraktiven Stadtzentrum – „für Familien und Prostituierte“ – umgestaltet werden soll. Zugleich sollte das Gesamtkonzept Vorschläge für den engeren Bahnhofsbereich machen, der eine Gelenkstelle zwischen südlicher und nördlicher Friedrichstadt darstellt.

Das Gelände am Admiralspalast, einst Zentrum von Handel und Dienstleistungen, mit Revuetheatern und halbseidenen Hotels, stand nicht zum ersten Mal vor einer Neuorientierung. 1921 veranstaltete die Berliner Turmbau GmbH einen Wettbewerb für das Dreieck am Bahnhof Friedrichstraße, der visionäre Hochhausentwürfe, darunter die 80 Meter hohe Glaskonstruktion Mies van der Rohes, aufs Reißbrett zauberte. 1927 fand ein zweiter nicht realisierter Wettbewerb statt.

Unter den dreizehn vorgestellten Planungen finden sich auch „extravagante“ Entwürfe: Benedict Tonons Konzept (2. Preis) mit rationalistischen Blöcken spielt mit Formen des Expressionismus ebenso wie sein Berliner Kollege Christoph Langhof (ebenfalls 2. Preis): Langhof zauberte ein wirres Gefüge aus steilen expressiven Bauten, mit schrägen Linien und illuminierten Häuserschluchten – eine Caligari-City. Verworfen wurde laut Hassemer das Konzept von Dirk Lohan (Chicago). Der Enkel von Mies hatte die Idee des Großvaters präsentiert.

Der Entwurf von Johanne und Gernot Nalbach muß nach Ansicht der Jury in wesentlichen Teilen überarbeitet werden. Sie fordert von dem etwas stumpfen Entwurf eine neue Lösung für die Umbauten des IHZ. Zugleich sollte der neue südliche Bahnhofsvorplatz weniger artifiziell gestaltet werden. Schließlich möchte die Jury, daß die Friedrichstraße nicht durch die parallelen Fußgängerzonen als öffentlicher Raum entwertet wird. Rolf Lautenschläger