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Wenn das Öl vor der eigenen Haustür versiegt

■ In Schottland können die Ölmultis ein staatliches Forschungszentrum mieten

London (taz) – Die Ölproduktion ist Schottlands wichtigster Industriezweig, elf Prozent des Bruttosozialprodukts werden in diesem Bereich geschaffen. 100.000 Menschen in rund 2.500 Unternehmen leben davon. Doch in 25 Jahren sind die Quellen versiegt, prophezeien Experten. Was dann?

Scottish Enterprise, die im April 1991 gegründete Behörde für Industrieförderung, glaubt, daß die Zukunft für die schottische Ölindustrie im internationalen Forschungs- und Entwicklungsbereich liegt. Deshalb hat man im vergangenen Jahr den Ausbau des Technologiezentrums in Aberdeen bewilligt, der 24 Millionen Pfund kosten und in diesem Sommer abgeschlossen sein wird.

Aberdeen im Verwaltungsbezirk Grampian ist die britische Ölhauptstadt im Norden des Landes. Seit 1969 vor der Küste Schottlands Öl entdeckt wurde, sind alleine in Grampian 52.500 neue Arbeitsplätze entstanden, die Hälfte davon auf den Bohrinseln in der Nordsee. In Aberdeen schossen die Büroblöcke aus dem Boden, der Hafen wurde ausgebaut und der größte Hubschrauber-Landeplatz Europas angelegt. Im Gegensatz zu Norwegen ging es der britischen Regierung von Anfang an um das schnelle Geld, eine langfristige Planung gab es nicht. Während des Ölbooms Mitte der achtziger Jahre pumpte Großbritannien täglich 2,6 Millionen Barrel Öl aus dem Meeresboden. Das brachte der Staatskasse zehn Milliarden Pfund im Jahr ein. Als der Ölpreis 1986 von 80 auf unter 20 Dollar pro Barrel fiel, schlidderte Aberdeen in die Krise. Es gab Massenentlassungen, die Häuserpreise sanken praktisch über Nacht. Heute fließen nur noch knapp zwei Milliarden Pfund pro Jahr in die britische Haushaltskasse, Norwegen hat Großbritannien inzwischen bei der Ölproduktion überholt.

Dennoch hat sich die Region wieder gefangen. Ende der achtziger Jahre begannen die Ölmultis, riesige Summen in die Verbesserung der Infrastruktur zu investieren – 1992 waren es 5,5 Milliarden Pfund, mehr als 20 Prozent der gesamten britischen Industrie-Investitionen. Unter anderem wurde ein ausgedehntes Rohrleitungsnetz von den Ölfeldern zum Festland gelegt, um die Erschließung neuer Ölfelder zu ermöglichen. Zur Zeit wird Öl aus 54 Feldern gepumpt, 15 weitere stecken in der Entwicklungsphase. Scottish Enterprise schätzt, daß in den nächsten zehn Jahren 47 Ölfelder neu erschlossen werden können.

Schon ist die Rede von einem „zweiten Ölboom“, doch Chris Fay, Chef der Produktionsabteilung von Shell Großbritannien, warnt vor voreiligem Optimismus. Die großen und leicht abzubauenden Ölfelder haben ihre beste Zeit hinter sich, sagt er. „Dazu kommt, daß der Ölpreis im Vergleich zur frühen Entwicklungsphase weit niedriger ist. Das Kapital der internationalen Unternehmen wird auch anderswo gebraucht, zum Beispiel in der ehemaligen UdSSR, und die Firmen müssen den Investitionen Priorität einräumen, die den größten Profit versprechen.“ Ronnie McDonald von der neuen Ölarbeiter-Gewerkschaft OILC erwartet, daß die Ölmultis versuchen werden, in allen Bereichen die Kosten drastisch zu senken. Bereits jetzt teilen sich verschiedene Firmen Hubschrauber und Schiffe, was noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre.

McDonald befürchtet, daß zugleich Sicherheitsvorkehrungen, Bohrinseln und Arbeitsplätze eingespart würden. Die Grampian- Verwaltung schätzt, das bis zur Jahrhundertwende 5.000 Jobs in der Region gestrichen werden. Doch gerade die Kostenreduzierung könnte sich für Aberdeen als Chance erweisen, da die Unternehmen dadurch zu stärkerer Zusammenarbeit im Forschungsbereich gezwungen werden.

Diese Zusammenarbeit soll das Technologiezentrum in Aberdeen erleichtern. „Indem wir das Zentrum gemeinsamen Industrieprojekten zur Verfügung stellen, können die Kosten gesenkt und die Technologie-Entwicklung beschleunigt werden“, sagt Liz Mallinson, die bei Scottish Enterprise die Öl- und Gasindustrie betreut. Unternehmen aus der Ölbranche können dort steuergünstig ihre eigenen Forschungsabteilungen ansiedeln und von allgemein zugänglichen Einrichtungen profitieren. Dazu gehören unter anderem drei Bohrschächte, um unter simulierten Bedingungen neue Maschinen und Sicherheitsvorkehrungen zu testen und Personal auszubilden. Außerdem können Gesteinsproben analysiert werden. Die Unternehmen mieten die Einrichtung auf Tagesbasis, die Geheimhaltung der Forschung ist garantiert.

Ziel des fünfjährigen Marketing-Programms ist es, die Ölmultis zur Zusammenarbeit mit einheimischen Unternehmen zu bewegen. Schottische Unternehmen haben sich bereits in Marktnischen wie der Software-Herstellung für Bohrprogramme, dem Bau von versenkbaren elektrischen Pumpen und der Durchführung komplexer Bohrvorhaben etabliert. Andere haben sich auf die Verlegung und Wartung von Ölpipelines im Meer spezialisiert.

Wenn die schottischen Ölquellen versiegen, hofft Liz Mallinson, werden schottische Unternehmen als Berater, Konstrukteure und auch als Entwicklungshelfer für Verpflegung und Wohnungen auf Ölplattformen weltweit führend sein. „Außerdem gewähren wir Exportkredite. Wenn das Geschäft zum Erfolg wird, erhalten wir unser Geld zurück. Wir wollen die Ölindustrie dazu bekommen, daß sie Schottland als Sprungbrett in neue Märkte, etwa in Osteuropa und Asien, nutzt.“ Ralf Sotscheck

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