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Überschwemmung im Atomklo möglich

Selbst ein Gutachter des Bundesamtes für Strahlenschutz riet von neuen Einlagerungen im Atomendlager Morsleben ab/ Ignoranz der Reaktorsicherheitskommission  ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich

Für Bundesumweltminister Klaus Töpfer war der Tag der deutschen Einheit nicht nur aus patriotischen Gründen ein Glückstag. Denn die DDR brachte dem Umweltminister und der von ihrem eigenen Dreck geplagten bundesdeutschen Atomindustrie ein komplettes Atommüll-Endlager als Morgengabe in die deutsch- deutsche Ehe ein. Und Töpfers Sicherheitsfachleute beeilten sich, dem Atomklo in Morsleben in Sachsen-Anhalt zu bescheinigen, daß es auch den bundesdeutschen Sicherheitsanforderungen genügt. Wider besseres Wissen, wie aus internen Gutachten der Reaktorsicherheitskommission (RSK) hervorgeht, die die Umweltschutzorganisation Greenpeace gestern in Magdeburg veröffentlichte.

„Selbst der damalige Antragsteller und jetzige Betreiber des Endlagers, das Bundesamt für Strahlenschutz, hat ernsthafte Sicherheitsbedenken gegen den Weiterbetrieb des Endlagers geltend gemacht“, sagte Greenpeace- Atomexpertin Inge Lindemann, als sie die Papiere in Magdeburg vorstellte. Sie bezieht sich auf mehrere Stellungnahmen des BfS-Gutachters Professor Albert Herrmann von der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld. Danach ist eine sichere Aussage über die Stabilität des Grubengebäudes nicht möglich.

Aber die Reaktorsicherheitskommission hielt sich lieber an das absolute Sicherheit suggerierende Gegengutachten von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Deren Gutachter wischte Herrmanns Bedenken einfach weg und erkannte„keine akute Gefährdung“. Lapidar stellte die RSK in ihrer Sitzung am 24.April 1991 fest, „daß das BfS die Stabilität des Grubengebäudes anders bewertet als die BGR und die Sachverständigen des ehemaligen Betreibers“. Und dann setzte die RSK noch einen drauf: „Die Reaktorsicherheitskommission ist der Ansicht, daß sie trotz der vom BfS vorgetragenen Bedenken ihre in der RSK-Empfehlung enthaltene Bewertung der Stabilität des Grubengebäudes beibehalten kann“, heißt es im Sitzungsprotokoll. Im Klartext: Weil Töpfer die Atomlobby im Nacken saß, setzte sich die Reaktorsicherheitskommission selbst über Sicherheitsbedenken des Antragstellers für den Betrieb des Endlagers, des BfS, hinweg. Gestern versuchte der Sprecher des BfS, Eckart Viehl, den Gutachterstreit dahingehend zu deuten, daß Herrmann lediglich die Aufgabe hatte, die Laugenzuflußstellen aus geochemischer Sicht zu beurteilen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften habe seine Ergebnisse aufgenommen und ein Konzept erarbeitet, wie die Zuflüsse abgedichtet und umgeleitet werden könnten. „Dem Weiterbetrieb steht nichts mehr im Wege“, so Viehl.

Obwohl der Nachweis der Langzeitsicherheit nicht einmal von der Reaktorsicherheitskommission behauptet wird, ist sie „der Auffassung, daß für den genehmigten Betriebszeitraum eine vom Anlagenbetrieb ausgehende Gefährdung ausgeschlossen werden kann“ – so steht es in einer Anlage zum Protokoll der RSK-Sitzung vom 17.Juni 1992. Klaus Töpfer hat den Betrieb des Endlagers bis zum 30.Juni des Jahres 2000 genehmigt. Für die Zeit danach will nicht einmal die sonst so bedenkenlose Reaktorsicherheitskommission eine Sicherheitsgarantie geben.

Für Greenpeace heißt das, daß der Druck der Atomlobby zu Sicherheitsrabatten bei der Genehmigungspraxis atomtechnischer Anlagen geführt hat. „Die einzige Konsequenz aus diesen internen Protokollen ist der Widerruf der Betriebsgenehmigung und die sofortige Schließung des Endlagers“, findet Inge Lindemann. Aber das ist ihr noch nicht genug. Die Greenpeace-Atomexpertin fordert, daß alle bislang im Atomklo Morsleben eingelagerten Abfälle zurückgeholt werden. Das würde die Betreiber vor interessante Entwicklungsaufgaben stellen: Zu DDR-Zeiten wurde ein großer Teil der Abfälle nämlich nicht in Fässern eingelagert, sondern einfach lose verkippt oder versprüht.

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