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Verraten und verkauft

■ Viertelinitiative fühlt sich von Sozialbehörde verschaukelt / Junkie-Elend unverändert / Drobs wie Magnet

„Da von einer Regionalisierung der Drogenhilfe zu reden — Hohn und Spott darüber. Das ist unverfroren. Wir fühlen uns verraten und verkauft.“ Der da so über die bremische Drogenpolitik schimpft, der hat das Drogenelend direkt vor der Haustüre: Bodo Bilinski ist Nachbar der Drogenberatungsstelle Drobs in der Bauernstraße im Ostertor. Gemeinsam mit Anwohnern der umliegenden Straßen hat er gestern Bilanz nach fünf Monaten Drogensofortprogramm gezogen.

Das Fazit ist vernichtend: Im Viertel habe sich kaum etwas verändert, die Regionalisierung sei ein Witz, die Sozialbehörde versuche, die Anwohner zu verschaukeln. Vordergründig werde am Runden Tisch das Gespräch gesucht, doch hinter dem Rücken sei die Sozialsenatorin dabei, beim Bauordnungsamt eine Nutzungsänderung durchzusetzen: Die Drobs solle ordentlich zum „Kontakt- und Beratunngszentrum“ erklärt werden. Mit diesem Schritt fühlen sich die Anwohner einerseits hintergangen, andererseits aber auch bestätigt: Sie hatten als letztes Mittel auf Schließung der Drobs geklagt und dabei argumentiert, eine derartige zentrale Einrichtung sei mit dem Bebauungsplan nicht vereinbar. „Und die Behörde bestätigt das jetzt“, so Bodo Bilinski.

Die AnwohnerInnen befürchten einen schlimmen Sommer. In den letzten Jahren hatte es im Winter immer eine Entspannung des Klimas rund um das Sielwalleck gegeben. Nicht so in diesem Jahr. Inge Steinecke, Anwohnerin der Straße beim Steinernen Kreuz: „Zwischen der Kreuzung und der Bauernstraße halten sich regelmäßig zwischen 80 und 100 Leute auf.“ Und vor der Tür der Drobs gebe es um die Mittagszeit echte Massentreffs: Gestern gegen zwei Uhr habe dort ein Pulk von 22 Drogenabhängigen gestanden. Dieter Voigt aus der Kreftingstraße sagt: „Da wird gedealt, da werden Spritzen und Tabletten verteilt, ohne daß irgend jemand eingreift.“ Und in den Hauseingängen würde wieder in aller Öffentlichkeit gespritzt. Nachdem einige Plätze mit Zäunen verbarrikadiert worden seien, habe sich ein Garagenhof in der Kohlhökerstraße zum neuen Druckraum entwickelt.

Nach einigen Wochen verstärkter Polizeipräsenz sei die Repression seit einiger Zeit wieder eingeschlafen, haben die Anwohner beobachtet. Nachdem die Drobs aus den Schlagzeilen sei, hätten auch die Bemühungen spürbar nachgelassen, die offene Szene zu bekämpfen. Und die Versuche zur Dezentralisierung der Hilfe für Drogenabhängige seien bestenfalls halbherzig: Die neuen Beratungsstellen würden längst nicht das Angebot bieten wie die Drobs. Für die Verelendeten bietet allein die Drobs die Grundversorgung.

„Sowohl in Bremen-Nord als auch in der Ölmühlenstraße gibt es niedrigschwellige Angebote“, sagt dagegen Andrea Frenzel- Heiduk, Sprecherin des Sozialressorts. Zwei weitere Standorte würden noch gesucht. „Wir haben Angebote der Drobs massiv ausgelagert.“ Aber daß die Szene im Viertel damit ausgedünnt würde, das zu glauben fällt auch ihr schwer: „Die haben da ihren Lebensmittelpunkt.“

Der Lebensmittelpunkt der verelendeten Szene, das ist die Drobs, behaupten die Anwohner. Die wirke wie ein Magnet. Und deshalb ginge kein Weg an einer Schließung vorbei, wenn man es mit der Bekämpfung der offenen Szene ernst meine. Noch ist die Klage der Anwohner nicht entschieden. Doch nachdem die Sozialbehörde beim Bauordnungsamt vorstellig geworden ist, sind die AnwohnerInnen guten Mutes. Und sie wollen an der Klage unbedingt festhalten. Dieter Voigt: „Es verändert sich nur etwas, wenn wir Druck machen.“

J.G.

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