: Frank Sinatras pädagogischer Nährwert Von Andrea Böhm
Medien übertreiben bekanntlich maßlos. Doch selbst wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was täglich über die Zustände in Amerikas staatlichen Schulen geschrieben wird, dann fragt man sich, wer in diesem Land noch Lehrer werden will. Die Bezahlung steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zur Arbeits- und Nervenbelastung. Die SchülerInnen ähneln weniger lernwilligen oder zuwendungsbedürftigen Jugendlichen, sondern eher jenen Monstern aus William Goldings „Herr der Fliegen“. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit kann nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Sein Schutz hängt von der Polizeipräsenz auf dem Schulhof und vom Metalldetektor am Eingang ab. Folglich geraten viele liberale Weiße und Schwarze und Latinos mit einem Herz für staatliche Schulen und einem dickeren Bankkonto in einen Gewissenskonflikt, wenn es um die eigenen Kinder geht. Auch der neue Präsident Billary Clinton mußte sich entscheiden, ob Tochter Chelsea in Washington auf eine public school oder eine Privatschule geschickt werden sollte. Billary gab der Privatschule den Vorzug. Kein Wunder, witzelten die Kolumnisten, denn an einer öffentlichen Schule hätten Chelseas Secret-Service-Agenten einer bewaffneten Übermacht gegenübergestanden.
Jeden Tag werden in Amerikas Schulen durchschnittlich 6.000 Lehrer von ihren SchülerInnen physisch bedroht, 260 tatsächlich angegriffen und verletzt. Für manche Politiker erscheint da der Ruf nach der Prügelstrafe wahlstrategisch sinnvoll, die ohnehin nur in der Hälfte aller fünfzig Bundesstaaten verboten ist. Das erscheint Kritikern auf der einen Seite zu reaktionär, auf der anderen zu riskant – angesichts der Tatsache, daß jeden Morgen rund 100.000 SchülerInnen mit einer Schußwaffe in die Klasse kommen. Aber wie gesagt: Die Medien übertreiben. Auf der letzten Konferenz der „National Foundation for the Improvement of Education“ bewies die versammelte Lehrerschaft, daß sie zur flexible response fähig ist.
Im Prinzip kombinieren DirektorInnen und Lehrkräfte einen Sachzwang mit pädagogischer Phantasie. SchülerInnen, die sich prügeln oder bewaffnet zum Unterricht antreten, werden nicht mehr für mehrere Tage von der Schule verwiesen, sondern dazu verdonnert, Computer zu reparieren, Wände zu streichen oder abgerissene Basketballkörbe neu zu montieren. Maßnahmen, für die viele Schulen schon lange kein Geld mehr haben. Im Fachjargon heißt das behaviour management contracts. Wenn es nichts zu reparieren gibt, geht's auch anders wie in Sour Lake, Texas: Neunjährige, die verbale Streitigkeiten dank täglichen Konsums von Rap-Musik nur noch mit einer erstaunlichen Vielfalt an Obszönitäten ausfechten, werden gezwungen, die Eltern zu Hause oder auf der Arbeit anzurufen und die Schimpfworte zu wiederholen – meist mit hochrotem Kopf.
Nun mag diese Frühwarn-Pädagogik in einer Kleinstadt in Texas funktionieren, aber nicht in Chicago. Da greift High-School-Lehrer Bruce Janu zu musikalischem Terror, wenn ihm die Kontrolle zu entgleiten droht: Die SchülerInnen, süchtig nach HipHop, Techno oder Hard-Rock, müssen sich widerspruchslos ein paar Frank-Sinatra-Songs anhören. Janu schwört auf seine Methode.
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