piwik no script img

Die deutsch-polnischen Verhandlungen über die Kostenverteilung für die Unterbringung von Flüchtlingen, die Bonn nach Osten abschieben will, waren noch nicht beendet, da überrumpelte die Koalition die SPD gestern mit der Ankündigung, man werde die „Begleitgesetze“ schon am Freitag im Bundestag einbringen.

CDU sägt am delikaten „Asylkompromiß“

Die morgendliche Gesprächsrunde mit der SPD war gerade ein paar Minuten vorbei, da holte die CDU zu einem Tiefschlag in Richtung Sozialdemokratie aus: Man werde, so verkündete CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Rüttgers, anders als bislang geplant die sogenannten Begleitgesetze zum „Asylkompromiß“ bereits an diesem Freitag zur ersten Lesung in den Bundestag bringen, auch wenn die SPD darüber nicht erfreut ist. Die Koalitionsfraktionen seien sich im klaren, daß dieser Schritt zu „einer vorübergehenden Eintrübung des Klimas“ führen könne. Eine Formulierung, die in der SPD als purer Euphemismus gewertet wird. „Das ist für uns eine offene Kriegserklärung.“ Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz, einer der SPD- Unterhändler bei der Formulierung der „Begleitgesetze“, zeigte sich gestern ehrlich empört. „Wenn die CDU das nicht zurücknimmt, geht der ganze Asylkompromiß den Bach runter.“

Tatsächlich bleibt unklar, warum die CDU ohne Not gerade diejenigen in der SPD-Fraktion, die sich für den „Kompromiß“ engagiert haben, nun derart vor den Kopf stößt. Einzige Begründung der CDU: Die derzeitige Asyl-Situation dulde keinen weiteren Aufschub, die Gesetze müßten in Kraft treten. Weitere Änderungen könnten dann im regulären Gesetzgebungsverfahren vorgenommen werden.

Nahezu zeitgleich mit der Ankündigung von Rüttgers verkündete der stellvertretende polnische Innenminister Jerzy Zimowski in Bonn, die Verhandlungen über deutsche Finanz- und Verwaltungshilfen für Polen als Kompensation für die Flüchtlinge, die die Bundesrepublik nach der Asylneuregelung nach Polen abschieben will, seien ohne greifbare Ergebnisse beendet worden. Nach dem Asylkompromiß hatte aber gerade die SPD darauf bestanden, daß vor einer Grundgesetzänderung zuerst mit Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakei ein faires burden sharing vereinbart werden muß. Nach der vorgesehenen Grundgesetzänderung und den entsprechenden „Begleitgesetzen“ werden alle deutschen Nachbarstaaten pauschal zu sogenannten „sicheren Drittstaaten“ erklärt – was bedeutet, daß jeder Flüchtling, der über den Landweg in die BRD kommt, bereits in einem Land war, in dem er nicht verfolgt wurde und deshalb auch wieder dorthin abgeschoben werden kann. Diese Regelung trifft vor allem die östlichen Nachbarstaaten, da die meisten Flüchtlinge durch diese Länder nach Deutschland kommen.

Polen ist nach eigenen Angaben in keiner Weise darauf vorbereitet, in diesem Jahr bis zu 50.000 Flüchtlinge aufzunehmen und sträubt sich bisher gegen eine bilaterale Regelung mit der BRD. Strittig zwischen der polnischen und der deutschen Regierung ist auch, was mit den jetzt bereits nach Deutschland über Polen eingereisten Flüchtlingen werden soll, die die hiesigen Behörden wieder ausweisen wollen. Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf, der zur Zeit zu politischen Gesprächen in Warschau ist, hat vorgeschlagen, die sogenannten „Altfälle“ nicht nach Polen abzuschieben, wenn die Regierung in Warschau sich einverstanden erklärt, dafür alle künftig über Polen eingereisten Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Anfang kommender Woche werden die Innenminister der BRD, Polens, der Ukraine, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Österreichs und Ungarns, voraussichtlich auch Bulgariens und Rumäniens, in Budapest gemeinsam über den Umgang mit Flüchtlingen beraten.

Einigkeit bei der Liste „verfolgungsfreier Staaten“

Doch die Verhandlungen mit den östlichen Anrainerstaaten sind nicht das einzige Problem, das die SPD mit einer vorgezogenen Beratung der Gesetze hat. Hinter der Formel „Begleitgesetze“ zur Änderung des Artikel 16 verbergen sich so komplizierte Fragen wie die Änderung des Asylverfahrensgesetzes (Schnellverfahren), das Asylbewerberleistungsgesetz (Reduzierung der Sozialhilfe für Flüchtlinge), das Staatsangehörigkeitsgesetz (Erleichterung der Einbürgerung) und Änderungen im Ausländergesetz.

In der Sitzung zwischen Vertretern der Koalition und der SPD gestern morgen blieben noch eine Reihe von Detailfragen offen, was zumindest teilweise erklärt, warum die SPD-Vertreter auf die CDU- Ankündigung so allergisch reagierten. Der Hauptgrund jedoch ist die labile Situation in der Fraktion. Die Durchsetzung des Kompromisses sei bereits so schwierig gewesen, daß jedes weitere „Draufsatteln“, so Wiefelspütz, das Faß zum überlaufen bringen kann.

Eine Einigung erzielten die Unterhändler von Koalition und SPD gestern dagegen in der ebenfalls heftig umstrittenen Frage der Liste „verfolgungsfreier Staaten“. Asylanträge von Flüchtlingen aus diesen Ländern werden erst gar nicht mehr entgegengenommen, es sei denn, der Betreffende kann individuell einem Grenzer klarmachen, daß gerade er trotzdem verfolgt wird. Das Ergebnis des bisherigen Gezerres: Länder, in denen keine politische Verfolgung mehr stattfindet, sind: Bulgarien, Rumänien, Polen, die Tschechische und die Slowakische Republik sowie Ungarn. Nach Angaben aus der SPD sei die Diskussion um die Türkei endgültig vom Tisch. Niemand könne ernsthaft behaupten, daß es in der Türkei keine politische Verfolgung gibt. Das habe auch die Union akzeptiert. Wie die Verhandlungsführer der Union darüber hinaus erklärten, sei jetzt auch klargestellt, daß der Antrag eines Bewerbers, der seinen Reiseweg über einen „sicheren Drittstaat“ verheimlicht, als offensichtlich unbegründet behandelt wird. Sein Antrag könne damit im verkürzten Verfahren geprüft werden. Jürgen Gottschlich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen