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"Der Mut, nicht mehr wegzugucken"

■ Zivilcourage gegen Gewalt: Fürstenwalder Aufruf für Humanität und Toleranz appelliert an den Bürgersinn / Alltägliche Gewalt trifft nicht nur ausländische Bürger / Lesung im Asylbewerberheim

Fürstenwalde/Spree. In Fürstenwalde trauen sich viele Bürger nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße. In der Regionalbahn zwischen Erkner und dem östlich Berlins gelegenen Städtchen werden immer wieder ausländische Bürger überfallen und beraubt. Sogar die polizeiliche Zusammenstellung der in Fürstenwalde begangenen Straftaten macht deutlich, daß die Gewalt nicht nur gegen Ausländer im letzten Jahr erheblich zugenommen hat. „Schon in Schulen werden Kinder ausländischer Abstammung von ihren Mitschülern ausgeschimpft oder in der Toilette eingesperrt“, weiß Ausländerbeauftragte Wanda Nikulka. Angesichts dieser Zuspitzung hat der Arbeitskreis „Miteinander leben in Fürstenwalde“ den „Fürstenwalder Aufruf für Humanität und Toleranz. Gegen Rassismus und Gewalt“ herausgegeben, der am Montag vor einer Woche die Druckerei verließ. „Wir wollten, daß jeder Bürger sich angesprochen fühlt, etwas gegen die Gewalt auf den Straßen zu unternehmen“, sagt Nikulka. Man könne sicher nicht von jedem erwarten, in bedrohlichen Situationen einzugreifen, „aber die Menschen sollen wenigstens den Mut haben, hinzusehen und Hilfe zu holen“.

„Wer dem Rassismus, der Welle der Gewalt von Rechts nicht entschieden entgegentritt, macht sich mitschuldig“, so das Papier. Bürger sollten im Alltag Partei für die Diskriminierten ergreifen. „Mischen Sie sich ein“, heißt es, wenn bei der Arbeit oder im Freundeskreis abfällige Bemerkungen über Ausländer oder Juden gemacht werden. An die Justiz wird appelliert, rechtsextreme Gewalttäter nicht weiter durch milde Strafen zu ermutigen. Politiker und Parteien sollen nicht nur anerkennen, daß die Bundesrepublik längst Einwanderungsland geworden ist, sondern auch ein Zusammenleben von „Eingeborenen und Fremden“ mit gleichen Rechten und Chancen ermöglichen. Der Aufruf soll in Geschäften und Buchhandlungen, an Schulen, bei Gewerkschaften, Parteien und in den Wartezimmern von Ärzten und Rechtsanwälten ausgelegt werden.

Der vor einem Jahr vor allem von Mitarbeitern der beiden Asylbewerberheime, Lehrern, dem Verein „Frauen helfen Frauen“ und Vertretern von Diakonie und Caritas gegründete Arbeitskreis versucht auch auf andere Weise Einfluß auf das Klima in der Kleinstadt zu nehmen. „In Fürstenwalde sind mittlerweile rechtsradikale Cliquen überall in den Straßen zu sehen“, so der Soziologe Roland Gröschel, der ebenfalls in dem Arbeitskreis mitarbeitet. Ihr Organisationsgrad und ihre Fanatisierung seien zwar unterschiedlich. „Gemeinsam ist ihnen aber die Bereitschaft, undifferenziert Gewalt auszuüben gegenüber allen, die fremd, ausländisch oder anders aussehen.“ Zunehmend würden auch diejenigen, die erkennbar schwach und wehrlos sind, zu Opfern. „Einerseits verstehen wir uns als Interessenvertretung der Ausländer“, sagt Wanda Nikulka. So verfassen die Mitglieder Stellungnahmen zur Asylpolitik oder setzen sich bei Behörden und Ministerien für die Belange von Ausländern ein. Sie haben aber auch im letzten November zu einer Demonstration gegen Gewalt und für Toleranz aufgerufen, an der sich über 250 Leute beteiligten. Die wöchentlichen Mahnwachen sind gut besucht. Zu einer Veranstaltung in Verbindung mit dem Kreissportbund kamen sogar 300. Auch organisieren die Mitglieder Vorträge in Schulen oder Besuche der Schüler in Asylbewerberheimen.

Am kommenden Sonnabend, 13. Februar, lesen Jürgen Fuchs und der rumänisch-deutsche Lyriker Helmuth Frauendorfer im Asylbewerber- und Aussiedlerheim Fürstenwalde. Der Abend steht im Rahmen der bundesweiten Aktion „Eine Nacht in Deutschland – Dichter in Asylbewerberheimen“. Corinna Raupach

Der Aufruf ist über die Initiative Fürstenwalder Aufruf, c/o Kulturverein Nord e.V., Trebuser Str. 49, O-1240 Fürstenwalde zu erhalten.

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