: Wo die Krampfader in Rauch aufgeht
Die Privatklinik Fleetinsel in Hamburg bietet ihren Patienten laserschnelle Operationsverfahren und Belegbetten im First-Class-Hotel/ Die Krankenkassen verweigern dem Projekt die Zulassung ■ Aus Hamburg Michaela Schießl
Messerscharfe Zähne schieben sich durch die wabernde Masse. Dann packen sie zu. Zwei, drei gezielte Bisse. Rauchendes Fleisch. Eine Röhre öffnet sich, die Kamera schwenkt in die Tiefe, in einen dunklen, fleischigen Tunnel.
Ein Horrorfilm? Aliens Rückkehr? Die Wahrheit ist schlicht: Es ist die Krampfader von Frau K. Das heißt, es war ihre Krampfader. Denn was die Videoaufzeichnung dokumentiert, ist deren jähes Ende, gefilmt live vor Ort, sprich: im Unterschenkel der Operierten. „Darf ich sie mitnehmen?“ fragt sie und nimmt die Kassette in Empfang, fürs Heimkino. „Wann soll ich wiederkommen? Darf ich duschen, muß ich liegen?“
„Ich muß Sie nicht mehr sehen, Sie sind völlig gesund“, sagt Dr. Helmar Gai, der Gefäßchirurg. Eine gewöhnungsbedürftige Antwort für Frischoperierte. Frau K. blickt mißtrauisch auf ihr Bein. Nur ein klein wenig dicker ist es, der zwei Zentimeter kurze Schnitt ist kaum noch zu sehen. Weh tut ihr nichts.
„Normalerweise müßte die Patientin nach solch einem Eingriff, herkömmlich operiert, acht Tage im Krankenhaus bleiben“, erläutert Gai. Er ist einer der fünf Spezialisten, die am 13. Januar die Privatklinik Fleetinsel in Hamburg eröffnet haben. „Mit unserer Technik kann sie gleich wieder nach Hause gehen.“ Dabei ist Frau K. fast zu bedauern, das edle Etablissement mit dem Verwöhnaroma so zügig verlassen zu müssen: Nichts an der „Fleetinsel“ erinnert an ein herkömmliches Krankenhaus. Die Unternehmensphilosophie ist so simpel wie bewährt: Der Kunde ist König.
Oder gar Hotelgast: Sind die acht klinikeigenen Betten belegt, so können Patienten, sofern ihr Zustand es erlaubt, im angeschlossenen Fünf-Sterne-Hotel weitergenesen. 16 Betten mit direktem Zugang zur Klinik hält das nagelneue „Steigenberger“ für die malade Kundschaft bereit. „In solcher Umgebung fühlt man sich doch gleich viel besser“, verteidigt Dr. Gai die gewagte Kombination, die von der Öffentlichkeit mit schriller Empörung kommentiert wurde. Da half die Beteuerung nichts, daß es „immer noch billiger“ sei als ein normaler Krankenhausaufenthalt. 670 Mark kostet ein Bett mit Einzelzimmerzuschlag auf dem Fleet. Steigenberger kassiert lediglich 400 Mark. „Das muß den Kassen doch einleuchten“, fleht der Arzt, umsonst. Nicht einmal die Privatkassen zahlen das Hotelzimmer. Doch der Ruf der Eliteanstalt steht. „Wir haben die Falle zu spät erkannt“, sagt Gai.
Der luxuriöse Anspruch indes ist Programm. Sterile weiße Gänge, knatschende Linoleumböden und ätzende Desinfektionsmittelschwaden? Nicht auf der Fleetinsel. Schließlich soll, was nach Urlaub klingt, nicht wie Krankenhaus riechen. So erwartet ein helles, großzügiges Foyer den Operationswilligen. Die elegante Empfangschefin mittleren Alters erhebt sich hinter ihrem schwarzen Designerschreibtisch und geleitet den Kunden zu den Einzelpraxen. In den Warteräumen liegen Geo und Ambiente aus. Wer nicht lesen mag, darf Gemälde bewundern. „Die Bilder sind selbstverständlich käuflich“, sagt Dr. Gai. Käuflich sind auch die handgemalten Seidenschlipse in der Glasvitrine. Und käuflich sind auch die ärztlichen Leistungen.
Das Skalpell spielt nur noch eine Nebenrolle
Das medizinische Konzept der Klinik ist klar: Mittels hochspezialisierter Technik werden ambulant und kurzstationär Operationen durchgeführt. „Kein Patient soll länger als höchstens vier Tage bei uns liegen“, lautet die Parole. Möglich wird dies vor allem durch das Anwenden „minimal-inversiver“ Chirurgietechniken wie Bauchspiegelungen, Kniespiegelungen etc. Eine Methode, bei der das Skalpell nur noch eine Nebenrolle spielt. Die Hauptakteure sind Videokameras, Sonden, Ultraschall und Laserstrahlen. Die Wunden sind klein, die Heilung schnell, die Liegedauer kurz. High-Tech gehört zu Gais Arbeitsplatz wie Mister Spock zu Raumschiff Enterprise. Tatsächlich widmet sich auch die Besatzung der Fleetklinik der Erforschung fremder Welten: der fiskalischen.
„Unser Ausgangspunkt war, daß die Bezahlung im jetzigen Gesundheitssystem völlig falsch geregelt ist“, erklärt Gai die Geschäftsidee. Im Krankenhaus muß jeder Patient den gleichen Pflegesatz zahlen, egal ob er einen Leistenbruch hat oder Lungenkrebs. „Wir finden das ungerecht und setzen eine Fallpauschale dagegen. Das heißt, wir erreichen die realen Kosten für alle angebotenen Eingriffe.“ Dr. Gai kramt in seiner Schublade und zieht eine Preisliste heraus. „Wenn ein Patient zu uns kommt, machen wir ihm einen exakten Kostenvoranschlag. Brauchen wir mehr Zeit, so ist das unser unternehmerisches Risiko: der Kunde zahlt den Festpreis.“ Auf keinen Fall aber bleibt ein Patient länger als nötig liegen, wie es in Krankenhäusern oft passiert, um den Pflegesatz zu kassieren.
Ein Konzept, das ob seiner enormen Kosteneinsparung gute Aussichten hatte, von den gesetzlichen Krankenkassen akzeptiert zu werden. Doch dann geschah etwas ganz und gar Unvorhersehbares: Der Bundesgesundheitsminister hatte eine Idee – die gleiche wie die Weißkittel-Unternehmer. „Wäre Horst Seehofer nicht gekommen, wären wir die ersten gewesen“, sagt Dr Gai. Im neuen Gesundheitsstrukturgesetz verankerte Seehofer sowohl die Erlaubnis für Krankenhäuser, ambulant zu operieren, als auch die Einrichtung von Fallpauschalen. Bis Mitte des Jahres wird ein neuer Bewertungskatalog herauskommen, der die Vergütung ambulanter Operationen allgemeingültig regelt. Ab 1996 werden diese Fallpauschalen auf viele Krankenhäuser angewandt.
Damit war das Tauziehen um die Kassenzulassung der Fleetinselärzte entschieden. „Das Neue, das die Klink Fleetinsel bietet, wird durch das Gesundheitsstrukturgesetz zur Regel. Wir sehen mithin keinen Bedarf, einen Versorgungsvertrag abzuschließen.“ In einem schmucklosen Bürohaus, nur 500 Meter Luftlinie von dem ehrgeizigen Klinikobjekt entfernt, lehnt sich Dr. Behrend Behrends zufrieden in seinem Stuhl zurück. Er ist Chef der AOK Hamburg und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände. Und er ist sichtlich froh, gute Argumente zu haben gegen die Kassenzulassung der potentiellen Krankenhauskonkurrenz Fleetinselklinik. „Die werden ihre Geschäfte ausschließlich mit Privatpatienten und freiwillig Versicherten machen müssen.“
Eine unnötige „Schickimicki“- Einrichtung nennt er das Operationszentrum und wirft den Machern vor, die Rosinen herauszupicken. „Die holen sich die unkomplizierten, lukrativen Fälle und überlassen den Krankenhäusern die schweren, teuren. Damit wird den öffentlichen Häusern, die zusätzlich die gesamte Rettungsstruktur stellen müssen, die Möglichkeit genommen, wirtschaftlich zu arbeiten.“ Das Argument, daß die Kosten insgesamt sinken, hält er für eine Milchmädchenrechnung: „Wenn Überkapazitäten geschaffen werden, ist das keine Ersparnis.“
Wirklich sauer wird Behrends, wenn die Ärzte behaupten, sie böten exklusive Leistungen an. „Das ist pure Scharlatanerie. Die benutzen die Patienten, ihr System bei uns durchzusetzen, indem sie verschweigen, daß die Eingriffe auch woanders gemacht werden können.“ Dr. Gai indes beteuert, der einzige in Hamburg zu sein, der Krampfadern per Spiegelung operiert.
Einig sind sich die beiden darüber, daß das Klinikprojekt Fleetinsel ein Schritt in die Zwei-Klassen-Medizin nach US-amerikanischem Vorbild sei. „Ich fürchte, daß es dorthin geht“, sagt Dr. Gai. Und will nicht der letzte sein, der auf den lukrativen Zug springt. Behrends dagegen sträubt sich: „Die Krankenhäuser werden binnen eines halben Jahres konkurrenzfähig sein“, kündigt er die Umwandlung stationärer Abteilungen in ambulante an. Sicher, die Umgebung muß sich verbessern, ebenso der Service. Letztendlich wird der Patient, so glaubt Behrends, mehr Wert auf eine anständige Versorgung legen als auf eine Nacht im Steigenberger.
Die Anwendung der minimal- inversiven Chirurgietechniken hält er, besonders bei Blinddärmen, Leistenbrüchen und Gallenoperationen, in Privatkliniken für geradezu fahrlässig. „Was tut die Fleetklinik, wenn innere Blutungen auftreten? Rein ins Taxi und ab ins Krankenhaus?“ Tatsächlich sind die Inselärzte auch in der herkömmlichen Technik versiert, ein Intensivtrakt jedoch fehlt ihnen. „Für solche Fälle haben wir Abkommen mit den Krankenhäusern“, sagt Gai. „Da haben Sie's“, sagt Behrends.
In Wahrheit ist es nicht mangelnde Qualität, sondern mangelndes ethisches Bewußtsein, das anzuprangern ist, meint Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer. „Wenn es den Ärzten um die Patienten ginge, dann frage ich mich, warum sie keine gemeinnützige Institution gegründet haben und am Ende des Jahres ihre Bilanzen offenlegen.“ Für ihn fällt die kommerzielle Einrichtung unter die Rubrik „kulturelles Schmarotzertum“. „Denen geht es nicht um die Gesundheit der Bevölkerung, sondern um das Wohlergehen zahlungskräftiger Privatpatienten.“ Bonn soll sich entscheiden: Will man gleiche Medizin für alle oder eine luxuriöse Medizin neben einer armseligen. „Sozialen Frieden garantiert man nicht durch privaten Eigennutz“, warnt Huber angesichts der vollkommen gescheitertern US-Gesundheitssysteme. „Die versuchen gerade, unser deutsches System einzuführen.“ Huber indes favorisiert das englische, radikal staatliche Modell, mit dezentraler Entscheidungsstruktur und leistungsorientierten Anreizen. Das sei sinnvoller, als einige wenige den Rahm abschöpfen zu lassen. „Wir müssen davon wegkommen, daß Arzt sein bedeutet, viel Geld zu verdienen. Wer reich werden will, soll in die Bauindustrie.“
„Mich haben die medizinischen Möglichkeiten gelockt
Die Ärzte der Fleetinsel machen aber nun mal in Operationen. „Muß ich das Videoband etwa bezahlen?“ fragt Frau K. „Wann schicken Sie die Rechnung?“ Da stottert Dr. Gai. 15 Jahre war er Krankenhausarzt in Mannheim und Bruchsal. Um Honorare zu feilschen, war seine Sache noch nie. „Mich haben die medizinischen Möglichkeiten gelockt, die ich hier habe“, erklärt er seinen Wechsel in die Privatmedizin. Fast scheint es ihm peinlich zu sein, Geld zu verlangen. „Das eilt nicht, die Rechnung schreibe ich noch.“ Doch Frau P. ist gewarnt: „Ihr Anästhesist war da schneller, Der servierte mir die Rechnung, bevor ich noch richtig wach war. Und kein Pflästerchen hat er vergessen.“ Sie schaut ihn an, wie man einen Gebrauchtwagenhändler anschaut. „Wie bitte?“ sagt Dr. Gai. Es ist soweit, er wird rot. „Na, das werd' ich mir mal ansehen. Hauptsache, Ihnen geht es wieder gut.“
„Soziale Ideale“ sagt Ellis Huber, „sind nicht mit Kapitalistenseelen zu organisieren.“ Kapitalistische Ideale mit sozialen Seelen schon eher.
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