Eine suchende Reise in der Zeit

■ Musiktheater auf Kampnagel: Über das Verschwinden der Wirklichkeit von Leeser und Landmann

von Leeser und Landmann

Die Frage nach dem Verbleib der Wirklichkeit hinter Medien und simultaner Wahrnehmungstechnik, — zur Mediale sicher nicht unpassend — entpuppt sich im neuesten Musik-Theater-Projekt „Über das Verschwinden der Wirklichkeit“ von Brigitte Leeser und Friedrich Landmann als Suche nach vergangener Poesie und unmittelbarer „körperlich-sinnlicher“ Kunstwahrnehmung.

Bild, Musik und Wort, die drei Elemente des Musiktheaters, treffen zum Hauptthema Zeit, Erinnern/Vergessen in einer Art aufeinander, die ein Wechselspiel der Kunstformen erzeugt.

Die umgeräumte Kampnagelhalle, mit Stühlen an der Längsseite, beeinhaltet eine eigenständige Rauminstallation Brigitte Leesers, in der neben hohen Leitern, ausgestopften Vögeln und Bergen von Büchern und Zeitungen (ZEIT-Berge) die Medien Film und Foto Einzug gefunden haben. Über eine Leinwand flimmert Claudia Reiches Video „Das Erscheinen der Wirklichkeit“, eine Aneinanderreihung von teilweise verfremdeten Wiederholungen einer Trickfilmsequenz mit Dinosaurier. Auf einer weiteren wird zeitweise das Negativfoto einer ausgebrannten Bibliothek gezeigt. Einen Angelpunkt zur Realität und Real-Zeit bildet eine große Digitaluhr. Die Musik Friedrich Landmanns ist von atonal- schwebender Schönheit. Natürlich vollzieht sich eine Verbindung zur Sprache, auch die Texte von Trakl, Hölderlin, Rose Ausländer, Rilke und Bachmann kreisen um Zeit und Erinnerung. Carola von Seherrs hält mit ihrem Sopran die Instrumentalstimmen zusammen, sorgt für die Höhepunkte des Abends.

Im Wechsel mit den Liedern sprechen Christian von Richthofen, Marion Martienzen und Max Eipp Texte und Dialoge aus Cesare Paveses „Gespräche mit Leuko“ und „Ein Ruf“. Der Zusammenhang der alten Mythen erschließt sich nicht immer. Ein vorsichtiges Theaterspiel wird versucht, dennoch sind die Darsteller nie mehr als Medium und Träger der Sprache, der Geschichten.

Zum Abschluß spricht, singt, klopft und stöhnt Christian von Richthofen „Ein Würfelwurf“ von Stephane Mallermé, draußen am Fenster, über Mikrophon mit dem Raum verbunden.

Zurück bleibt nach gut einer Stunde der Eindruck einer Reise, vielleicht in vergangene Zeiten. Ein sinnliches Vergnügen mit offenen Fragen, vielleicht aber auch bei manchem das vage Gefühl, so wie Christian von Richthofen am Schluß, vor dem Fenster, draußen, gestanden zu haben. Niels Grevsen