Stadtbild Nr. 22
: Das „bürgerlich schlichte“ Stadthaus

■ Das ehemalige Ministerratsgebäude am Molkenmarkt sollte wieder Ort städtischer Verwaltung werden/ Dem Symbol der Kommune fehlt das Umfeld

Wer vom Westen kommend die Leipziger Straße in Richtung Alexanderplatz geht, dem erscheinen am Molkenmarkt zwei gegensätzliche Stadtbilder: Einerseits erschreckt die Weite der breiten Straße, die ein paar Meter die Erde verschluckt. Andererseits schiebt sich die Barriere des Stadthauses mit Säulenturm ins Blickfeld. Der muschelgroße Koloß wirkt wie ein Fremdkörper. Er steht frei und ohne Bezug vor dem riesigen Platz. Sein rustikales Mauerwerk, der Dreiecksgiebel in der Mitte, beide Seitenflügel und der 80 Meter hohe Turm bilden einen Widerspruch im 22-Meter-Traufenland Alt-Berlins.

Das Stadthaus von Ludwig Hoffmann wurde zwischen 1902 und 1911 als zweites – technisches – Rathaus neben dem Roten Rathaus errichtet. Über 1.000 Verwaltungsbedienstete arbeiteten in dem Komplex, der um fünf Höfe gebaut und mit einer zentralen Stadthalle für Empfänge geplant war. Baulich war das Gebäude eingebunden in die engen Straßen und Gassen der Altstadt. Als das Rote Rathaus 1945 infolge der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg nicht mehr nutzbar war, zogen bis Ende der 50er Jahre die östlichen Stadtverordneten und der Magistrat in das Provisorium. Bis zur Wende im Jahr 1989 diente der Bau als Amtssitz des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR.

Mit dem Einzug des Ministerrates und der Freistellung des Stadthauses in den 60er Jahren – und damit monumentaler Wirkung – wurde die Tradition der kommunalen Nutzung und ihres Erlebens beendet. In der historischen Mitte der Stadt hatten Rathaus, Stadthaus und Kirche den bürgerlichen Machtanspruch gegenüber dem feudalen Standort auf der Spree-Insel symbolisiert. „Bürgerlich schlicht“, so charakterisierte Architekt Hoffmann seinen Bau, bedeutete nur mehr die städtische, kommunale Repräsentanz.

Der historische Bezug zur Stadt kam dem Stadthaus zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik abhanden, richtete sich doch mit dem Ministerrat ein Staatsorgan ein. Auch die Sprengung des städtischen Umfeldes machte aus dem Stadthaus ein Staatsgebäude. Die Debatten um die Bundesbehörden haben auch das Stadthaus in der alten Mitte berührt. Der Bund ist zwar sein Besitzer, es gehört ihm aber nicht. Das Stadthaus ist ein Symbol der Kommune – funktional und städtebaulich. Ludwig Hoffmann, Berliner Stadtbaurat der Jahre 1896 bis 1924, richtete sich dort ebenso ein wie sein Nachfolger Martin Wagner. Der Senat wird doch eine Verwaltung finden, die dort einzieht, ehe Kanzler Kohl zugreift. Rolf Lautenschläger