: Definitiv positiv
Fun der ökologisch-artistisch-extraorbitalen Art: Kurz mal im All mit den B-52's ■ Von Anke Westphal
„Gott, sind die lustig!“, stöhnt mein jugendlicher Begleiter mit Blick auf die amerikanischen Fun- Klassiker von den B-52's (die sich erstmals zum lärmigen Heitersein versammelten, als er gerade ins Trotzalter kam – 1976 in Athens/ Georgia). „Nein, sind die schrill!“, entzückt sich mein Verbindungsmann zur aufstrebenden Generation weiter — ohne jede Rücksicht darauf, daß sich unsereins, mitnichten so grünkerngestählt wie Kate Pierson und schon leicht über die 25 hinaus, vor Parfümschwaden einer Ohnmacht nahe fühlt. Strenger Vegetarismus kann so ganz schädlich vielleicht nicht sein, wenn er, wie im Falle Pierson offenbar, Langzeitfröhlichkeit und Lockenfülle bewirkt.
Schnöder Neid dümpelt in uns, die wir schon lange weder chinesisches Essen noch tropisch-farbenfrohe Drinks genossen haben und nun trübe mitansehen müssen, wie das befreundete Jungblut neben uns heillos elektrisiert sein schlichtes Jackett zurechtzupft. Die B-52's haben halt schon vor zig Jahren die „Songs for a future generation“ erkannt — und aufgeschrieben. Daher allenthalben dieses „Dance this mess around“ in der Berliner Deutschlandhalle, als das Raumschiff endlich startet. Festlich gestimmte Menschen oszillierenden Geschlechts wie Alters in eher unscheinbarer Post-Party-Kleidung (darunter nicht eine mit kammverstärktem Haarturm), die sich einfach zur funkigen Gute-Laune- Rummelplatzmusik des legendärsten unter den singenden Comic- Strips wiegen. Die Optik ihrer gänzlich untoten New-Wave- Commander bleibt ohnehin konkurrenzlos. Nie sah man jemanden so anmutig, so energisch und doch so graziös auf den Highheels tippeln wie Kate Pierson in ihrem pinkleuchtenden Minirock; keiner hampelt so dezent gereift (und dabei so kunstvoll!) im curacaoblauen Zweiteiler wie Fred Schneider. Welch Glanz in diesen glanzlosen Zeiten!!
Ihr Party-Liedgut, reich an Satz- Wechsel-Gesang und Schweineorgel, scheint so zeitlos modern wie Glibberpudding mit künstlichem Himbeeraroma. Was Frau Prof. Paglia sich so innig wünscht, realisieren die B-52's: perfekte Popinszenierung nicht ohne klassischen Anstrich — und dabei doch so amerikanisch trash-traditionell! Everybody goes schließlich to Parties, um ökologisch-artistisch korrekten Fun zu haben. Ein bißchen Bubblegum, ein ärmelloses Etui- Kleid aus Mamas wildesten Zeiten, darüber diese klarlackintensive Bienenkorbfrisur, die unsereins nie hinkriegt, und schon saust alles mit ultraorbitaler Geschwindigkeit durchs All. Was die B-52's angeht, ist mirror the message, wenigstens zur Hälfte — aber nicht nur. Die andere Hälfte verspricht erst gar nicht, daß alles gut wird, weil nämlich im B-52's-Dreamland schon alles gut ist.
Natürlich auch auf dieser „Good Stuff“-Tour. Diverse personelle Einbußen (Ricky Wilson starb 1986 an Aids) konnten dem sowieso eher überindividuellen Image des Feeling-Good-Enterprises anscheinend kaum etwas anhaben — auch wenn seine drei Botschafter, für die Tour durch Twin-Peaks-Stimme Julee Cruise im Glitzermini komplettiert, mit den Jahren etwas globaler trällern. Parallel dazu versichern sie einem komischerweise immer noch glaubhaft, daß Plastik und Polyester mit Zukunft zu tun haben — eine Spezies futuristischer Cheerleader, die das Publikum erst toben, dann rasen läßt. Wer integriert Political correctness denn auch derart souverän wie die B-52's, die zu „Roam“ drei als Kanzler Kohl maskierte Techniker mit „Ich bin ein Ausländer“-Schildern um den Hals auf die Bühne holen. Weglachen ist Programm — trotz Pannen. Fred Schneider moderiert elegant über diverse Stromausfälle hinweg, und Kate Piersons eilige Mädelstimme kiekst und beept auch ohne Cindy Wilson nahezu alterslos gegen Rückkopplungen an – dabei geht die Frau ins 45.!
Herzlichen Glückwunsch, greint da unsereins, wiederum nicht ohne Neid, und fragt sich, wieviel Haarspray und Mascara der Mensch wohl braucht, um so definitiv positiv zu sein. Zu blöd, daß wir die Fummel unserer Mutter einst in einem Anfall symbolischer Katharsis in den Müll befördert haben. „Good Stuff“ was das, really.
Wir wären jetzt ein ganz neuer Mensch — oder würden zumindest so tun! Seufzen so jedoch nur in den klammen Winternebel und fühlen uns – diesen Abend nicht mal Hot Pants! – schlecht angezogen; während der Romantophlegmatiker an unserer Seite leichtfüßiger ausschreitet als je zuvor, „wanna be the ruler of the galaxy, lalalalala!“ Und es stört ihn kein bißchen, daß ein nichtswürdiger Sauertopf vor der Halle alte B-52's- Platten verkaufen wollte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen