: „Im Verstecken der Ziele liegt die Gefahr“
■ Der Militärexperte Alain Joxe, Direktor der Hochschule für Sozialwissenschaften in Paris, fordert Transparenz über die politischen Ziele von Militäraktionen
taz: Drückt sich in dem militärischen Interventionismus, den wir derzeit in zahlreichen Regionen der Welt erleben, nicht vor allem das Fehlen von politischen Lösungen aus?
Alain Joxe: Zwischen den jeweiligen Interventionen bestehen natürlich große politische Unterschiede. In Bosnien geht es um das Überleben der demokratischen Systeme in Europa. In Somalia handelt es sich um ein regionales, aber allgemeines Problem, um die Hungersnot in der Dritten Welt. Da hat Europa vielleicht Verantwortlichkeiten und muß Stellung beziehen. Natürlich können diese Interventionen auch zu einer neuen Form des Kolonialismus, zudem unter US-amerikanischer Führung, werden. Es ist ein Unterschied, ob man Nichtregierungs- Organisationen schickt, die Nahrung verteilen, oder Soldaten. Die UNO hat kein klares politisches Mandat erteilt. „Nahrung verteilen“ ist nicht politisch, „entwaffnen“ ist ein militärischer Auftrag. Deshalb besteht das Risiko, daß diese Intervention zu einer reinen Polizeiaktion wird.
Was ist davon zu halten, wenn Moral angeblich an die Stelle von Politik tritt, wie es bei diesen humanitären Aktionen häufig der Fall ist?
Wenn nur moralisch argumentiert wird, dann fehlt das, worin eigentlich der Beitrag demokratischer Politik bestehen sollte, nämlich in einer Zielvorgabe für die Anwendung von Gewalt. Wenn es heißt, es gibt kein politisches Ziel, so bedeutet das nur, daß dieses Ziel versteckt ist. Das ist also das Gegenteil von Demokratie. Es ist gefährlich, wenn sich das politische Ziel hinter dem Vorwand versteckt, es handle sich um eine rein humanitäre militärische Aktion, denn so etwas gibt es nicht. Europa muß da sehr wachsam sein.
Frankreich hat 10.000 Blauhelme in alle Welt entsandt. Gibt es innenpolitische Gründe dafür, daß man sich hier für diese Aktionen so stark macht?
Frankreich ist eine mittlere Militärmacht, genau wie Deutschland, hat aber nie auf den Einsatz von Gewalt im Ausland verzichtet. Das einzig Neue daran ist, daß sich das seit einigen Jahren multipliziert. Wir stellen plötzlich fest, daß Frankreich immer mehr Blauhelme entsendet. Das hängt mit der militärischen Kultur Frankreichs zusammen, die auf einen kolonialen Ursprung zurückgeht.
Es steht fest, daß die öffentliche Meinung in Frankreich (wie in ganz Europa) sehr sensibel auf Probleme der Dritten Welt reagiert und daher positiv reagiert, wenn Missionen humanitär begründet werden. Es ist nur noch nicht klar, was das für Konsequenzen hat, weil wichtige Missionen wie in Somalia und Kambodscha scheitern könnten. Der Ruf der Blauhelme könnte also leiden, noch bevor sie ihre Rolle wirklich wirksam ausüben können. Frankreichs Wunsch, zu einer neuen humanistischen Ordnung beizutragen, könnte dabei ins Lächerliche gezogen werden.
Wir sind in einer äußerst heiklen Lage. Entscheidend ist wirklich die Frage: Was will die Linke eigentlich? Wir brauchen eine Definition des Internationalismus im Sinne der Linken, die es ermöglicht, blutige Diktaturen auf dem Balkan zu verhindern und die auch, im Sinne eines internationalen Ausgleichs, den Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten Länder vorsieht. Interview: Bettina Kaps
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