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„Die Jungs schaffen an, so oder so“

Sozialarbeiter und „Schwulenverband in Deutschland“ kritisieren die geplante Nachfolgeregelung für den Paragraphen 175/ Bundestag stimmt heute über neuen Paragraphen 176a ab  ■ Aus Berlin Dorothee Winden

„Die Jungs werden anschaffen gehen, ob es diesen Paragraphen gibt oder nicht“, meint Thomas Schwarz, Sozialarbeiter und Initiator der Selbsthilfegruppe „quer/strich berlin“. Er ist dagegen, daß sexuelle Kontakte von Freiern mit Strichern unter 16 Jahren weiterhin strafbar bleiben, wie es eine Nachfolgeregelung für den Schwulenparagraphen 175 vorsieht.

Der Bundesrat, der einen entsprechenden Gesetzentwurf der Regierung noch vor dem Bundestag beraten muß, dürfte heute der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses folgen. Dieser beharrt auf der Fassung des Paragraphen 176a, den der Bundesrat bereits im vergangenen November beschlossen hatte. Danach sind sexuelle Handlungen von über 21jährigen mit unter 16jährigen dann strafbar, wenn eine Zwangslage ausgenutzt wird oder ein „nicht unerheblicher Vermögensvorteil“ versprochen oder gewährt wird. Ein in die gleiche Richtung zielender Gesetzentwurf von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger setzt in einer Neufassung des Paragraphen 182 die Altersgrenze der Täter bei 18 Jahren an.

„Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen“ lautet der Titel beider Nachfolgeparagraphen, und auch dagegen erhebt Thomas Schwarz Einwände: „Es wird davon ausgegangen, daß Prostitution sexueller Mißbrauch ist, aber das kann man nicht gleichsetzen. Die Mehrheit der Stricher geht aus freien Stücken auf den Strich. Die wissen, was sie tun.“

Allerdings ist auch er der Ansicht, daß Freier zur Verantwortung gezogen werden sollen, wenn sie eine Zwangslage ausnutzen. Er meint damit die „Erbsensuppenfreier“, die zur späten Stunde zum Bahnhof gehen, wenn nur noch die Jungen rumstehen, die nicht wissen, wo sie die Nacht verbringen sollen. Der „Erbsensuppenfreier“ bietet ihnen einen Schlafplatz an – gegen meist unbezahlten Sex. Die Stricher haben kaum eine andere Wahl, als sich auf solche Angebote einzulassen. Fordert der Freier unsafen Sex, können sie sich kaum dagegen wehren.

Bislang machen sich Freier wegen gleichgeschlechtlicher Kontakte zu Minderjährigen (Paragraphen 175) strafbar, was sich ändert ist also der Grund der Strafverfolgung. Thomas Schwarz befürchtet, daß die illegale Prostitution die Zuhälterei fördert und die Aids- Prävention erschwert. Ähnlich sieht es Thomas Möbius, Geschäftsführer des Basis-Projektes in Hamburg, das sich mit vielfältigen Hilfsangeboten an „Straßenkinder“, darunter auch Stricher, wendet. „Die bestehenden Jugendschutzbestimmungen sind ausreichend. Mit der Neuregelung zwingt man die Jungen, im Untergrund zu arbeiten. Das wird in den privaten Bereich verdrängt, so daß die Jugendlichen für Sozialarbeiter noch schwerer zu erreichen sind. Letztlich führt das zu einer Verschlechterung der Lebenssituation derjenigen, die man mit dem Gesetz schützen will.“ Er befürchtet eine „massive Verunsicherung der Szene“.

Auch der Schwulenverband in Deutschland (SVD) befürchtet, daß akzeptierende Sozialarbeit durch die Neuregelung „erheblich erschwert“ wird. „Das Problem der Jugendprostitution ist nicht strafrechtlich zu bewältigen“, stellt SVD-Sprecher Volker Beck fest und verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshof, bei Strichern den Paragraphen 175 nicht anzuwenden. Bundesanwalt Manfred Bruns befürchtet, daß die Neuregelung „eine ungeheure Sekundärkriminalität auslösen wird“. Die Stricher würden damit geradezu aufgefordert, Freier zu erpressen.

Einen positiven Aspekt kann Thomas Schwarz der geplanten Neuregelung immerhin abgewinnen: Im Gegensatz zu früher ist Sex mit Strichern über 16 Jahren jetzt nicht mehr strafbar.

Darauf verweist auch Dagmar Oberlies, zuständige Referatsleiterin im saarländischen Frauenministerium, aus dem der erste Entwurf für den Paragraphen 176a stammt. „Wir entkriminalisieren ja, und die Frage ist, ob wir mit einer weiteren Entkriminalisierung auch für den Bereich der 14- bis 16jährigen zulassen, daß sich alte Männer Jugendliche kaufen können. Das können wir nicht wollen.“ Das Gesetz richte sich nicht ausschließlich gegen Jugendprostitution, sondern es gehe vielmehr darum, zu verhindern, daß Jugendliche durch Geld oder Geschenke zu sexuellen Handlungen bewegt würden, zu denen sie sonst nicht bereit gewesen wären. Jugendliche – gleich welchen Geschlechts – könnten sich in solchen Situationen nicht unbedingt wehren. „Unser Ziel war, Strafbarkeitslücken beim Schutz der 14- bis 15jährigen zu schließen. Zur Prostitution ist zu sagen, daß wir davon ausgegangen sind, daß dieser Bereich bereits geregelt ist. Die Strafbarkeit der Freier ist eine Folge und nicht das Ziel unserer Regelung“, so Dagmar Oberlies.

Im saarländischen Frauenministerium bedauert man vielmehr, daß sich der Bundesrat im November vergangenen Jahres gegen eine Verlängerung der Verjährungsfristen bei sexuellem Mißbrauch ausgesprochen hat, die ebenfalls im 176a vorgesehen war. Die Verjährungsfrist hätte danach erst mit der Volljährigkeit des Opfers eingesetzt. Dies ist vor allem deshalb wichtig, weil sich viele Opfer erst als Erwachsene an die traumatischen Erlebnisse erinnern. Zu diesem Zeitpunkt können die Täter wegen der Verjährung aber oft nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Diese Regelung war vom Bundesratsausschuß für Frauen und Jugend verabschiedet, im Bundesrat aber nur von den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saarland unterstützt worden. Jetzt soll die Bundesregierung prüfen, ob eine Verlängerung der Verjährungsfrist „zwingend erforderlich“ ist.

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