: „Auf der Flucht erschossen“
■ Polizeieinsatz mit parlamentarischem Nachspiel
Magdeburg (taz) – Kurz nach Mitternacht im Staßfurter Polizeirevier. Von einer Beamtenkugel tödlich getroffen, bricht der 21jährige rumänische Asylbewerber Lorin R. zusammen. Ein tödlicher Schuß gegen einen Mann, dem kaum etwas anderes vorzuwerfen war als ein Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz.
Gemeinsam mit einem Freund war Lorin R. am 21. Januar gegen 20 Uhr in Staßfurt in Sachsen-Anhalt aufgegriffen und zur Feststellung der Personalien auf das örtliche Polizeirevier gebracht worden. Beide waren als Asylbewerber in Münster registriert, durften sich also nicht in Sachsen-Anhalt aufhalten. Die beiden Rumänen waren der Polizei „irgendwie aufgefallen“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft Magdeburg. Konkret habe gegen sie nichts vorgelegen.
Gegen 1 Uhr nachts bat der 21jährige, zur Toilette gehen zu dürfen. Ein 53jähriger Hauptwachtmeister begleitete den Mann zum Herzchenhäuschen über den Hof. Auf dem Weg habe Lorin R. nach Aussagen von Revierbeamten einen Fluchtversuch unternommen. Der 53jährige Polizist habe sich auf dem verschlossenen und ummauerten Hof nicht anders zu helfen gewußt, als zunächst einen Warn- und dann einen gezielten Schuß auf den nachweislich unbewaffneten Mann abzugeben. Einer dieser Schüsse traf Lorin R. rücklings direkt ins Herz. Der 21jährige war sofort tot. Gestern hatte der Vorfall ein parlamentarisches Nachspiel.
In seiner Antwort auf eine kleine Anfrage des SPD-Abgeordneten Manfred Püchel sagte Justizminister Walter Remmers (CDU), daß derzeit geprüft werde, ob der Todesschuß „möglicherweise rechtswidrig“ gewesen sei. Remmers müßte da doch nur im Gesetz über die Öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen- Anhalt nachblättern. Dort steht zwar bürokratisch verklausuliert, aber dennoch recht eindeutig, daß der Schußwaffengebrauch in diesem Fall nicht zulässig war.
Vermutlich nicht umsonst wurde der Beamte kurz nach dem Vorfall vom Dienst suspendiert, ermittelt der Staatsanwalt wegen fahrlässiger Tötung. Aber gegenüber dem Staatsanwalt schweigt sich der Mann aus, verweist lediglich auf seinen Rechtsanwalt.
Geschwiegen haben auch Polizei und Staatsanwaltschaft. Mehr als zwei Wochen lang, erst dann kam der Vorfall zufällig ans Licht. Remmers begründete die Funkstille damit, daß der Staatsanwalt über die Sachermittlungen „schlichtweg vergessen“ habe, die Medien und damit die Öffentlichkeit zu informieren.
Nach inoffiziellen Angaben aus dem Innenministerium klingt das anders. „Polizei und Staatsanwaltschaft haben verabredet, die Öffentlichkeit nur auf Anfrage zu informieren“, heißt es da. Denn das Bild der Polizei von Sachsen-Anhalt droht zu einer Karikatur schießwütiger Wildost-Helden zu werden. Nur einen Tag vorher erschoß in Bitterfeld ein Beamter einen jungen Einbrecher, der auf frischer Tat ertappt wurde und fliehen wollte. Auch dieser Schuß traf in den Rücken. Eberhard Löblich
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen