: Ausgründungen - (k)eine rettende Idee?
■ Arbeitsmarktforum in der Handwerkskammer / Sozialbehörde lobt Selbstverwaltung / Studie bescheinigt Lawaert gute Arbeit
in der Handwerkskammer / Sozialbehörde lobt Selbstverwaltung / Studie bescheinigt Lawaetz gute Arbeit
„Ich habe mir im Zug die Frage gestellt, warum macht Hamburg ausgerechnet jetzt diese Veranstaltung?“ Der eigens aus Nordrhein- Westfalen angereiste Referent Bernward Brink sprach aus, was mancher Zuhörer dachte. 180 Teilnehmer kamen am Donnerstag auf Einladung der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) in die Handwerkskammer, um über die Zukunft der Selbstverwaltung zu beraten. Selbstverwaltungswirtschaft, so Brink, habe ihren Zenit schon vor viereinhalb Jahren überschritten, in einer Situation, wo die Wirtschaft zusammenbreche, habe sie wenig anzubieten.
Das sehen andere anders: Der in der BAGS für Arbeitsmarktpolitik zuständige Joachim Meyer hielt zu Beginn der Veranstaltung einen Lobgesang auf selbstverwaltete Betriebe. Schafften sich hier doch Menschen selbst einen Arbeitsplatz, suchten sich eigenständig eine Nische für eine eigene wirtschaftliche Existenz. Das habe Vorbildfunktion.
Für wen? Für die staatlichen Beschäftigungsträger, die so hilflos am ABM-Tropf hängen? Offizieller Anlaß für das „Arbeitsmarktforum“ der Sozialbehörde war eine Studie der Firma Konsult, die die Auswirkungen der Förderung durch die staatsnahe Lawaetz-Stiftung untersuchen sollte. Fazit: Es hat sich gelohnt. In den 35 Betrieben, die seit 1986 mit insgesamt 3,7 Millionen Mark gefördert wurden, hat sich die Zahl der Arbeitsplätze mehr als verdoppelt. Selbstverwaltete Betriebe haben zwar eine Menge Probleme — so sind die Sozialleistungen und die Löhne mies. Trotzdem habe sich diese Unternehmensform bewährt, aus dem anfänglichen „Alles-Ausdiskutieren-Wollen“, so Konsult-Chefin Margit Bonacker, sei kooperativer Arbeitsstil erwachsen. Zur Zeit gibt es in Hamburg 200 derartige Betriebe mit 3000 Beschäftigten.
In einem anderen Feld war die Lawaetz-Stiftung weniger erfolgreich. Hamburg hat inzwischen rund 100 Beschäftigungträger, auch sozioökonomische Projekte genannt, die mehrere tausend ehemals Arbeitslose auf ABM-Basis qualifizieren. Die Beschäftigungsinitiativen konnten von 1986 bis Ende '87 Zuschüsse für Fachpersonal beantragen, mit dem Ziel, sich in drei oder vier Jahren in einen erwerbswirtschaftlichen Betrieb umzuwandeln. Ein Angebot, das lediglich zehn Projekte in Anspruch nahmen und das von der Sozialbehörde 1988 wieder aufgegeben, da für unrealistisch befunden wurde.
Der Streit, ob Beschäftigungsprojekte wirtschaftlich arbeiten dürfen, ist fast so alt wie ABM selbst. Das Arbeitsförderungsgesetz verbietet es, die Handwerkskammer fürchtet staatlich subventionierte Konkurrenz, ein Großteil der Projekte fühlt sich mit diesem Anspruch überfordert. Trotzdem wurde die Frage am Donnerstag wieder heiß diskutiert. So lautet eine Empfehlung der Konsult-Studie, den Beschäftigungsinitiativen durch stärkere Beratung die Etablierung am Markt zu erleichtern. Margit Bonacker: „Die Projekte können sich nicht darauf verlassen, daß sie immer alles finanziert kriegen.“ Gerade in den Bereichen Küche, Altenpflege und Handwerk seien sogenannte Ausgründungen ganzer Projektteile zu eigenständigen Betrieben denkbar, zumindest aber eine Mischung von staatlicher und eigener Finanzierung.
Ist also das Selbständigwerden, die rettende Idee aus dem ABM- Debakel? Vielen Teilnehmern der Arbeitsgruppe, die sich mit dieser Frage beschäftigte, platzte bald der
1Kragen: „Wir haben es zu 80 Prozent mit Zielgruppen zu tun, die kaum lesen und schreiben können“, sagt Gisela Beck vom Verbund Harburger Beschäftigungsträger. Da seien derartige Ideen eine völlige Überforderung. Die Arbeitsgruppe wurde umfunktioniert, eine Resolution an den Senat verfaßt: die Stadt Hamburg solle unverzüglich ein Notprogramm für die gefährdeten Projekte aufstellen.
Am Ende war alles nicht so gemeint. Joachim Meyer versicherte, die Stadt werde die Trägerlandschaft aufrechterhalten, notfalls durch Kurzarbeit in den Projekten. Auch seien Ausgründungen nur im Ausnahmefall eine Lösung. Meyer: „In Zeiten der Rezession wär die Nachfrage gar nicht da.“ K.Kutter
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