: Sprachtherapie zwischen den Stühlen
■ Der neue Studiengang Sprachtherapie führt in eine Berufslücke / Die Kassenzulassung ist für die AbsolventInnen schwer zu bekommen / Professoren änderten stillschweigend die Studienordnung
Berlin. Es wäre eine echte Innovation made at Humboldt-Universität (HUB). Die HUB bietet erstmals in Deutschland einen universitären Ausbildungsgang für Studierende an, die später Stottern, Sprachstörungen bei Kindern oder Stimmfehler nach Unfällen behandeln können. Doch jetzt sitzen die angehenden Diplom-SprecherzieherInnen mit der Spezialisierung Stimm- und Sprachtherapie zwischen den Stühlen.
Die erste schlechte Nachricht kam für die therapeutisch ausgerichteten SprecherzieherInnen zu Beginn der Vordiplomprüfung, die derzeit gerade läuft. Die bevorstehenden Prüfungen würden nach der alten Studienordnung abgewickelt, hieß es jetzt. Gebüffelt hatten die 41 ersten StudentInnen des Studiums aber nach einer neuen Ordnung. Einem Papier, dem freilich der amtliche Segen bislang noch fehlt.
Tatsächlich gebe es eine „minimale Anzahl von Stunden“, welche die Studierenden nun nachholen müßten. Das gesteht man auch in der Leitung des Fachbereichs Rehabilitationswissenschaften inzwischen offen ein. Mitte Januar überreichte der zuständige Professor Dieter Mehnert den Studierenden eine Gegenüberstellung der alten und neuen Voraussetzungen für die Diplomvorprüfung. Das ist eine Checkliste für die Studierenden, die nun vergleichen können, was sie laut Prüfungsordnung können müssen und was sie wirklich studiert haben. „Wir haben die Studienordnung nicht heimlich genug geändert“, bewertet dies ein Professor im nachhinein.
An sich geschah die Änderung des Lehrangebots in bester Absicht. Die ProfessorInnen hatten entdeckt, daß die von ihnen angebotene sprechwissenschaftliche Ausbildung zu dünn war. Um später wirklich die Krankheitsbilder von Stimm- und Sprachgestörten erkennen und behandeln zu können, fehlten therapeutische und phonetische Inhalte, so erkannten sie. Jetzt seien sie weitgehend aufgenommen, meint Ada Sasse. „Der Studiengang ist eigentlich jut“, berlinert die engagierte Studentin, die schon als Sprachheillehrerin arbeitete.
Gäbe es nicht noch die komplizierte Frage der kassenärztlichen Zulassung. „Ich glaube nicht, daß derzeit das politische Signal dahin zeigt, noch mehr Heilberufe zuzulassen“, sagt Johannes Beckmann vom Bundesverband der Innungskrankenkassen. Er zählt zu jenen Spitzenverbänden, die ein gewichtiges Wort mitreden, ob ein Heilmittel – hier die Therapien der Sprechzieher – über die Krankenkassen abgerechnet werden kann oder nicht.
An der Humboldt-Universität ist man blauäugig in einem genau abgesteckten Berufsrevier wildern gegangen. Im Sozialgesetzbuch gibt es ein Heilmittel Sprachtherapie, das Ärzte an andere „Leistungserbringer“ abgeben können. Und das sind: die Logopäden und zwei weitere genau definierte sprachtherapeutische Schulen. Kein Platz also für die AbsolventInnen des jungen Berliner Studienganges der stimm- und sprachtherapeutischen SprecherzieherInnen?
Für eine Einzelzulassung zur Kassenabrechnung, wie sie die ProfessorInnen ihren Studierenden empfehlen, „sehe ich ein erhebliches Problem“, sagt Wilfried Nax von der kassenärztlichen Vereinigung. Die Beantragenden müßten neben den entsprechenden Ausbildungsinhalten auch eine mehrjährige Praxis nachweisen. Doch dazu muß man erst einmal praktizieren.
Die andere Möglichkeit wäre der Eintritt in das Berufsfeld der Logopädie. Die wird in Deutschland an 30, meist etablierten Fachschulen unterrichtet. Und die würden sich wohl kaum den universitären Hecht des therapeutisch versierten Sprecherziehers in den Karpfenteich holen, äußerten die Krankenkassen unisono gegenüber der taz.
„Natürlich gibt es keine Ablehnung von vorneherein“, widerspricht Beate Rey, die Berliner Vorsitzende des Logopädenverbandes. Man müsse sich genau die Studieninhalte ansehen, die Humboldts anbieten. Ihre Kritik gilt den Professoren. Die hätten sich früher fragen sollen: „Wo soll das hingehen mit den Sprecherziehern?“ Christian Füller
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