: „Delmenhorst ist außerordentlich finster“
■ Wie Fritz Stuckenberg in die Avantgarde vorstieß und aufs Delmenhorster Maß schrumpfte: eine Retrospektive
Selbstbildnis, 1915
Kann sein, daß in irgendwelchen Delmenhorster Bürgerhäusern immer noch die Kunst des Fritz Stuckenberg mit Füßen getreten wird. Sein Vater war Direktor der „Hansa“-Linoleumwerke in Delmenhorst, und der Sohn entwarf hin und wieder gegen Bares Muster für die nächste Fußboden-Kollektion. Das tat er aus Not. Der Künstler Fritz Stuckenberg, obgleich in seinen besten Jahren um den ersten Weltkrieg herum ganz vorn bei der deutschen Avantgarde dabei, war zeitlebens außerordentlich erfolglos. Der Name für sein Scheitern war „Delmenhorst“. Hier notlandete er 1921, nachdem er
hier der
gemalte
junge herr
kurzzeitig in Paris und Berlin reüssiert hatte.
In Delmenhorst nun ist die erste umfassende Retrospektive des Modernen aus der zweiten Reihe zu sehen — ein ebenso erstaunliches wie anrührendes Stück Künstlerbiographie im Spiegel seiner Bilder.
Denn wie viele weniger begabte Künstler hat Stuckenberg nicht einen eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt; er hat sich über seine Kunst mit etlichen Ideen, Richtungen und Linien der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auseinandergesetzt. Verdaut hat er nichts, gekämpft mit allem.
Die Ausstellung, mit großem Aufwand von Andrea Wandschneider und der Städtischen Galerie ausgerichtet, zeigt vieles zum ersten Mal: etwa die frühen Bilder aus seiner Pariser Zeit, wo Stuckenberg nach seiner Akademiezeit den ersten Aufwind verspürte. Impressionismus war angesagt, der Gott hieß Cézanne. Reife Landschaften entstanden damals, in liebevoll glühenden Farben.
1912 ging Stuckenberg — aus irgendwelchen Gründen „fluchtartig“ — nach Berlin; sieben Jahre später heißt ihn Herwarth Walden im „Sturm“ einen der führenden Künstler des Expressionismus. Ebenfalls stimmen zu gewissen Zeitpunkten: Kubist, Futurist, Esoteriker, Konstruktivist. Auch „der erste Tachist“ wird Stuckenberg angehängt. „Er hat alle Ismen durchgemacht,“ bestätigt Andrea Wandschneider.
Stuckenberg brauchte die Szene. Sie bot ihm das Rohmaterial, er implantierte seine eigenwilligen Vorstellungen. Das führte zu so komischen Ergebnissen wie jenen konstruktivistischen Bildern, deren harte Kanten sich in verwirrenden Schlieren auflösen. Tiefsinn atmende Räume entstehen, die durchaus nichts mit reiner Lehre zu tun haben.
1919 verkrachte sich Stuckenberg mit Walden und trat kurz dem „Arbeitsrat für Kunst“ um Walter Gropius und der „Novembergruppe“ bei.
Arm und schwer syphiliskrank kehrte er 1921 in den Schoß der Familie nach Delmenhorst zurück. Hier verfiel er Esoterikern und Lichtmystikern und arbeitete an kosmischen Themen. Einmal machte er einen schier unglaublichen Ausflug in einen Neo-Jugendstil.
das Strichgewirr
ohne Grautöne
Wogen, 1920
Schließlich — auch unter dem Verdikt der Nazis, die den ihnen zugetanen Künstler zu den „Entarteten“ rechneten — landete er bei Blumen- und Landschaftsaquarellen. Tausende entstanden davon, mit ihnen bezahlte er seine Arzt- und Schneiderrechnungen. Das ist der Stuckenberg, wie man ihn in Delmenhorst kannte: ein Spinner und Mystiker im Rollstuhl, der Blumenbilder für die Stube machte.
Die Welt hingegen hatte ihn 1930 vergessen. Und heute kann man gestandene Kunsthallenchefs mit seinem Namen in Verlegenheit bringen.
Eine unglückliche Geschichte zwischen Delmenhorst und seinem Sohn: Er ließ keine Gelegenheit aus, über die „Delmenhorster Umklammerung“ zu jammern: „Hier in Delmenhorst ist es wirklich hoffnungslos.“ Außerdem sei Delmenhorst „außerordentlich finster.“ Vor diesem Hintergrund ist er ein Sohn, der nur schwer von der Stadt zu vereinnahmen ist.
Fast ist es, als wär' es nicht von einem, was im Haus Coburg hängt. Die Ausstellung wirkt wie ein kleines Museum der Moderne.
Klar, daß für jeden etwas dabei ist. Viele werden sicher eine Auge auf die frühen französischen Arbeiten werfen. Vielleicht hat ja Stuckenberg das Projekt der Moderne nicht so recht verstanden. Wäre er damals in Frankreich geblieben, hätte er weiter das unglaubliche Licht und die großartigen Menschen gesucht... Vielleicht hätte er seinen Weg gefunden.
So aber finden nur seine Werke ihren Weg: posthum und auf den Markt. Die klassische Moderne boomt. Die Ausstellung mit 120 Arbeiten hat einen Versicherungswert von vier Millionen, und das dürfte (nachdem sogar der Spiegel berichtet hat) schon bei den nächsten Stationen in Berlin und Neuss schon wieder mehr sein.
Andrea Wandschneider, die auch das Werkverzeichnis der Gemälde erstellt hat, erhofft sich von der Publizität etwas anderes. Sie kennt die vielen Lücken, die Kriegsverluste: 2/3 der Gemälde gelten als verschollen. Und wegen der wechselnden Stile und der unzuverlässigen Signierung sind vorhandene Bilder oft schwer zuzuordnen. Vielleicht, sagt sie, lassen sich bald manche Lücken schließen. Aus Bremen jedenfalls sind erste Rückmeldungen schon gekommen.
Burkhard Straßmann
Komposition mit Kugeln, 1923
Fritz Stuckenberg — 1881-1944 — Retrospektive“, bis 28. März in der Städtischen Galerie Delmenhorst Haus Coburg, Fischstr.20; geöffnet Mo.-Fr. 15-19 Uhr, So. 11-17 Uhr.
Der gedankenschwere und umfangreiche Katalog aus dem Argon-Verlag kostet 48 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen