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Demokratische Entwürfe gesucht

■ Wettbewerbe "Umbau des Reichstags" und "Regierungsviertel Spreebogen" entscheiden sich Freitag

Berlin. Wenn Ende dieser Woche die beiden Bauwettbewerbe „Umbau des Reichstagsgebäudes“ und „Städtebaulicher Ideenwettbewerb Spreebogen“ zur Entscheidung anstehen, geht es um mehr als um Architektur und Städtebau. Es geht um die baulichen Chiffren demokratischer Identität für uns – und für die zukünftige Bundeshauptstadt. Das einzuklagen wird nicht leicht sein, ist aber nötig angesichts der Begehrlichkeiten des Bundes in Berlin.

Dennoch lassen die beiden Wettbewerbe die Chance für demokratische bauliche Chiffren. Die Ergebnisse des „Reichstags- Kolloquiums“ 1992 und des Stadtforums sind in die Auslobungen eingeflossen und bilden den Maßstab der Juryentscheidungen. „Das, was in Gesprächen zum Reichstagsumbau und Spreebogen entwickelt wurde“, kommentiert Bundestagspräsidentin und Jurorin Rita Süssmuth, „wird zu keinen Monumentalbauten führen, sondern es wird gekennzeichnet durch das Moment der Schlichtheit. Ich wünsche mir, daß die in der Bonner Phase entwickelte Vorstellung von der gelebten Demokratie in diesem Parlamentsviertel ihre Fortsetzung findet.“ Ein „Provisorium Reichstag“ soll es nach dem Beschluß der Parlamentarier vom 20. Juni 1991 für Berlin als Regierungssitz und die dauerhafte Nutzung des Reichstagsbaus nicht geben. Vielmehr gelten die Umbauten des Reichstags, des dahinterliegenden Reichspräsidenten-Palais und des Platzes der Republik als „Signale“ des Umzugs von Bonn nach Berlin. Der Umbau des Reichstagsgebäudes von einem dekorativem Koloß in ein modernes, funktionstüchtiges Parlament wird notwendig, stehen doch seine Form und Funktion für ein obsoletes parlamentarisches Verständnis. Paul Wallots 1894 fertiggestelltes Bauwerk mit einem kleinen Sitzungssaal für 400 Abgeordnete existiert nur noch in wenigen Raumfolgen und der Außenfassade. 1933 brannte der Reichstag aus. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die zerstörte Eisenkuppel abgetragen. Paul Baumgarten gab dem Bau 1960 ein neues „Innenleben“: Der Plenarsaal wuchs auf 1.600 Quadratmeter Fläche, Glaswände trennten den Saal vom Foyer, und alle schwülstigen Dekors wurden entfernt. Trotzdem mangelt es dem Bau an Funktionalität für ein modernes Arbeitsparlament. Der Plenarbereich ist zu groß, es fehlen Räume für Büros und Funktionssäle, die Erschließung ist ungenügend.

Der im Juni 1992 ausgelobte „Wettbewerb Umbau des Reichstags zum Deutschen Bundestag sollte dem denkmalgeschützten Bau ein neues Aussehen geben“, meint Günther Schäffel, Leiter der Abteilung Bauwesen im Bonner Bauministerium. Die Ausschreibung wurde an achtzig Architekten ausgegeben, darunter 14 ausländische Büros, unter ihnen Norman Foster, Aldo Rossi und Santiago Calatrava. Im Zentrum des Umbaus für das 17.000 Quadratmeter Nutzfläche bietende Reichstagsgebäude steht nicht das Bemühen um Rekonstruktion, sondern um den modernen Umgang mit der alten Bausubstanz. Für die Umbauten liegt der Auslobung ein Prioritäten-Katalog bei: Der Reichstag soll einen neuen Plenarsaal für 670 Abgeordnete erhalten. Er benötigt ein neues Raum-, Funktions- und Erschließungsprogramm. Die Auslober: „Im Entwurf sollen Transparenz, Kommunikation und Bürgernähe zum Ausdruck kommen. Es ist darauf zu achten, daß der Reichstag von allen Seiten zugänglich bleibt.“

Das Ziel könnte sein, die Brüche der Geschichte, die „Wallot- Schichten“ und „Baumgarten- Schichten“ sowie die zukünftige Bedeutung sichtbar werden zu lassen und dem Reichstag ein neues Gesicht zu geben. Der Jury-Vorsitzende Karl-Joseph Schattner gilt als Garant für modernes Bauen in alter Bausubstanz und wird diese Haltung unterstützen. Außerdem steht die Kuppel im Zentrum der Aufbauten. Ob total entkernt oder mit behutsamen Eingriffen, ob mit kreisrundem Plenarsaal, Kuppel oder Glasdach, eine neue Identität muß geschaffen werden. Aus Kreisen der Jury war zu vernehmen, daß es keinen Sieger, sondern drei Zweitplazierte gibt, die sich das Preisgeld von 110.000 Mark teilen.

Ob der Reichstag der Schwerpunkt in der Topographie des Regierungsviertels bleiben wird, ergibt der städtebauliche Wettbewerb. Das rund 240.000 Quadratmeter große Areal beiderseits der Spree, westlich der Moltkestraße sowie auf dem Moabiter Werder soll auf 185.000 Quadratmeter Fläche Raum geben für Bundestag, Kanzleramt, Bundesrat, Büros der Abgeordneten, Bundespressekonferenz und Presseclub.

Ein Parlamentsviertel hinter den Demarkationslinien von Sicherheit und Ordnung – ein Regierungsghetto innerhalb der Stadt – darf nicht entstehen. Das Parlamentsviertel, so die Auslobung, „muß Bestand Berlins“ sein. Von den städtebaulichen Entwürfen wird erwartet, daß sie ein „bürgernahes Parlament“ zum Ausdruck bringen, das „durchmischt mit Wohnungen, Geschäften und Kultureinrichtungen“ sein kann, wie es sich Senatsbaudirektor Hans Stimmann wünscht. Monofunktionalität, Gigantomanie und städtebauliche Barrieren sollen vermieden werden. Ein zweites Brasilia, dessen Künstlichkeit sich jeder Urbanität verweigert, soll das Parlament im Spreebogen nicht werden.

Die Planungen sind mit objektiven Problemen konfrontiert, die nicht ohne Konflikte ausgehen werden. Der Platz der Republik ist traditionell ein Versammlungs- und Festplatz, der als Schnittstelle zwischen Bürgern und Politikern gilt. Die vielen Arbeitsplätze der Beamten-City erfordern große Neubauvolumen. Die Sicherheitsinteressen verweigern die Verwirklichung des Anspruchs eines offenen Parlaments. Und schließlich werden durch Parkplätze und die mögliche Untertunnelung des Areals die ökologischen Freiräume und Nutzungen massiv eingeschränkt.

Von den 840 im Oktober 1992 eingereichten (zu vielen!) Entwürfen sind noch rund 50 „im Rennen“ der zweiten Jurysitzung in dieser Woche. Die Jury aus Stadtplanern, Architekten und Politikern unter dem Vorsitz des Hamburger Architekten Gerhard Lage wird sich für einen Plan entscheiden müssen, der die Möglichkeiten des Prozesses und der Veränderung aushält. Zeit und Geld werden zu Mitplanern werden. Ein ungelenker Masterplan steht dem dabei ebenso im Wege wie „phantasievolle Hochhäuser mit 600 Meter Höhe“, so ein Jury-Mitglied. Gefragt sind Entwürfe, die die Idee demokratischer Gesinnung verkörpern. Rolf Lautenschläger

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