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Der Ruf nach Zensur

Seit einiger Zeit macht sich unter deutschen Politikern eine erschreckende Seuche breit: der Ruf nach Zensur. Brav wird er auf den Medienseiten und den Seiten des Feuilletons vermerkt, aber ein Gegengewicht wird nicht geschaffen. Dies ist um so erschreckender, als hier ein fundamentales Grundrecht angegriffen wird: das der Meinungs- und Informationsfreiheit. Egal ob es sich um den Fernsehfilm „Die Terroristen“ handelt; die erneute Indizierung von „Die Memoiren der Josephine Mutzenbacher“, bei gleichzeitiger Nichtbeachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts; das laute Nachdenken über Zensur von Gewalt im Fernsehen (wie wäre es zur Abwechslung einmal mit Zensur von Gewalt in der Realität?!) und die Forderung nach Absetzung von „Motzki“.

Seit der Spiegel-Affäre wissen wir, daß man nicht immer mit dem Grundgesetz unterm Arm rumlaufen kann. Darum zur Erinnerung: Artikel 5 Abs. 1, 1. Satz: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Sicher sollte man das demokratieverachtende Geschrei unserer (West-)Politiker nach Zensur nicht durch zuviel Beachtung aufwerten. Es zu ignorieren ist meines Erachtens aber genauso schlimm. Wehrt man nicht rechtzeitig den Anfängen, kann es bereits zu spät sein, wenn man sich dann doch endlich entschließt, etwas zu tun. Spielt ein Kind am Brunnen, muß der Deckel draufgelegt werden, bevor es hineinfällt!

Der Kampf gegen Zensur in jeder ihrer häßlichen offenen oder versteckten Erscheinungsformen muß die Aufgabe der Medien sein, nicht nur weil sie gegen ihr ureigenstes Interesse und Selbstverständnis verstößt!

Zensur auszuüben ist immer ein Herumdoktern an den Symptomen, die Ursachen werden dadurch nicht bekämpft. Wenn gewählte Politiker nicht in der Lage sind, Probleme zu lösen, die zu lösen sie ja angeblich angetreten sind, stellt dies ihre Fähigkeiten im besonderen und unser gesamtes gesellschaftliches und politisches System im allgemeinen in Frage. Zu denken gibt die Tatsache, daß Politiker (fast) alle Versuche torpedieren, sich künstlerisch mit unangenehmen Wahrheiten auseinanderzusetzen, als ob sie sich und ihre Pfründe schützen wollten. Dies führt zu einer Verunsicherung im kulturellen Bereich, und entsprechend armselig sieht er auch aus. „Warum sind unsere Witzblätter, unsere Lustspiele, unsere Komödien und unsere Filme so mager? Weil keiner wagt, den dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das ganze Land bedrückt und dahockt: fett, faul und lebenstötend.

Mich stört, daß sich jeder mit dieser Tatsache arrangiert zu haben scheint. Es gibt kein Aufbegehren mehr, kein Schrei nach Leben. Es gibt nur noch (gefälligen) Konsum, und ansonsten will man in Ruhe gelassen werden. Das vergangene Fin de siècle endete mit einem Krieg – womit wird dieses enden? Thomas Steiger, Berlin

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