Sanssouci: Vorschlag
■ Symposium zur Situation des Tanzes in Berlin im Podewil
Wer in den 20er und 30er Jahren im Tanzbereich etwas werden wollte, dessen Weg führte über Berlin. Die Impulse kamen zwar von anderswo, aus Dresden, Hellerau und vom Monte Verità. Doch der Durchbruch in Berlin, Ort hektischer Veranstaltungsaktivität, war das Ticket für den Siegeszug durch die weite Welt oder zumindest durch die Provinz. Nach Berlin kamen Mary Wigman und Harald Kreutzberg, Gret Palucca und Valeska Gert. „German Dance“ ist bis heute die angelsächsische Bezeichnung für Ausdruckstanz, doch die einstmals Gefeierten sind weitgehend vergessen. Von den Nationalsozialisten als „undeutsch“ und „asiatisch überfremdet“ deklariert, kam der Ausdruckstanz nach 45 zu keiner neuen Blüte: Zu groß war die Berührungsangst mit der Emotionalität. Im Nachkriegsdeutschland wollte man klassisches Ballett, das bot sicheren Halt.
Heute gibt es in Berlin drei große Ballettensembles an drei großen Opernhäusern – eine Kompagnie für zeitgenössischen Tanz gibt es nicht. Natürlich hat sich die Tanzlandschaft seit Beginn der 70er Jahre grundlegend geändert, aber Pina Bausch und Johann Kresnik, Susanne Linke und Reinhild Hoffmann leben und arbeiten anderswo, Gerhard Bohner, der „Berliner“, ist im Juni vergangenen Jahres gestorben. Dafür gibt es 50 freie Tanzgruppen in der Stadt. Man muß sich nicht der Meinung des Tanzkritikerpapstes Jochen Schmidt anschließen, der die künstlerischen Leistungen einer der wichtigsten freien Gruppen Berlins, der Tanzfabrik, schlichtweg für albern befindet. Doch soviel steht fest: Dem internationalen Vergleich hält die Berliner Tanzszene in keiner Weise stand. Das soll nicht so bleiben, Kultursenator Roloff-Momin wünscht sich Berlin nicht nur als Musik- und Theater-, sondern auch als Tanzmetropole – nur Geld hat er leider keines. Aber daß es am Geld allein nicht liegt und der Wunsch des Kultursenators, so er denn ernstgemeint ist, trotz des mageren Haushaltsbeutels mit etwas Mut zum Risiko in Erfüllung gehen könnte, war eines der wichtigsten Ergebnisse eines dreitägigen Symposiums im Podewil.
Fall Susanne Linke: Durch die finanziellen Mittel des Goethe- Instituts ist sie im Ausland mehr zu sehen als in Deutschland, und ihr Name rangiert dort direkt nach dem von Pina Bausch. Für Guy Darmet, Direktor des „Maison de la Danse“ in Lyon und der „Biennale Internationale de la Danse“ (und zwar einer Biennale des zeitgenössischen Tanzes mit einem Etat von 20 Millionen Franc und 90.000 Besuchern!), ist Susanne Linke eine der wichtigsten Choreographinnen der Welt. Rund 2.000 Menschen finden bei ihren Gastspielen den Weg ins „Maison de la Danse“. In Deutschland dagegen ist selbst Kulturschaffenden der Name Susanne Linke nicht unbedingt ein Begriff. Wen wundert's: Ihrem künstlerischen Rang entsprechend, wurde sie noch nie gefördert. Genauso wie Gerhard Bohner, für den es inzwischen zu spät ist. Dabei zeigt das Beispiel „Mousonturm“ in Frankfurt, wieviel mit wenig Geld möglich sein kann, wenn nur die schwerfälligen Staatstheaterstrukturen umgangen werden. Bei einem Etat von 300.000 DM jährlich ist dem Produzenten Dieter Buroch und dem Choreographen Rui Horta mit der Gründung des „S.O.A.P. Dance Theatre“ innerhalb von zwei Jahren ein kometenhafter Aufstieg gelungen. Bei Anfragen aus dem Ausland sind sie zur Zeit der gefragteste Exportartikel der deutschen Tanzszene, so Ute Kirchhelle, Leiterin des Theaterreferats des Goethe-Instituts.
Warum nicht der erfolgreichen Konzeption Dieter Burochs folgen und statt des Gießkannenprinzips, mit dem zur Zeit die Gelder auf die freie Szene ausgegossen werden, zumindest zum Teil gezielt einzelne Choreographen fördern? Und zwar für einen längeren Zeitraum, in dem auch für Flops geradegestanden wird und Bedingungen geschaffen werden, in denen sich die individuelle künstlerische Persönlichkeit entfalten kann. Selbst Pina Bausch hat für ihre Entwicklung einen Schutzraum gebraucht und Gott sei Dank bei dem Intendanten Arno Wüstenhofer in Wuppertal auch gefunden. Heute geht der Blick voller Neid nach Frankfurt, aber als William Forsythe dort vor zehn Jahren seine Arbeit begann, fegte er erst mal den Publikumssaal leer. Die Abonnenten flüchteten in Scharen, und eine Durststrecke von vier Jahren war zurückzulegen, bevor sich die großen Publikumserfolge einstellten. In welche Höhen sich Forsythe emporschwingen würde, hat sich Intendant Michael Gielen vielleicht doch nicht erträumt – er hatte die richtige Nase und vor allem Mut zum Risiko. Und genau das fehlt in Berlin.
Dreimal klassisches Ballet gibt es in der Stadt, aber nicht ein Ensemble mit Profil, das international interessant wäre. Gleich an zwei Häusern steht „Giselle“ auf dem Spielplan, und obwohl es neben dem klassischen Repertoire auch Neues gibt, ist die Existenz dreier Ballettensembles bei gleichzeitigem Fehlen einer Kompagnie für zeitgenössischen Tanz eine absurde Situation. Ein Körper in Bewegung kann etwas ganz anderes sein als die Normierung auf technischen Akademismus: die dem Körper abgelauschten Erfahrungen in einer hochtechnologisierten Welt. Öffnungen sind möglich, aber nur in Grenzen. Tänzer können nicht an einem Abend Kresnik und am nächsten „Schwanensee“ tanzen. Eine weitere Zementierung alter Verhältnisse, das sollte sich Berlin als Stadt im Umbruch im Tanzbereich gewiß nicht leisten.
Die Umbildung eines der Ensembles durch einen entsprechenden Choreographen würde den gebeutelten Finanzhaushalt des Kultursenators nicht mit neuen Ausgaben belasten. Als Pina Bausch in Wuppertal begann, liefen die Zuschauer schreiend aus dem Saal, griffen sie tätlich an und verfolgten sie mit anonymen Drohanrufen. Ein neues Tanzpublikum müßte in Berlin erst herangebildet werden. Ein harter Weg. Wenn die drei Intendanten der Opernhäuser weiterhin so satt und selbstzufrieden auf ihren (magerer werdenden) Pfründen sitzen bleiben, wird er mit Sicherheit nie beschritten, und Berlin bleibt, was es im Tanzbereich in vergangenen Zeiten nicht war, aber heute ist: tiefste Provinz. Nicht nur international, sondern auch im deutschen Maßstab. Michaela Schlagenwerth
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