: Barocker Gnadenakt
Künstler protestieren gegen die Jury des ■ Hamburg Stipendiums
Beim Roulette ist die Gewinnchance bekanntlich 1 zu 36, beim Hamburg-Stipendium ist sie immerhin mehr als doppelt so gut: 10 von 160 Bewerbern dürfen ein finanziell relativ erfreuliches Jahr mit monatlichem Grundsalär von 1600 Mark erwarten. Doch die Kriterien der Auswahl sind jedes Jahr Gegenstand der Spekulation. Bei der stets wechselnden Besetzung der Jury ist weder die Aufteilung der Personenzahl zwischen Künstlern, Vermittlern und Galeristen noch die Vorgehensweise der Jury verbindlich geregelt.
1Dieses Jahr wurde den Künstlern und Künstlerinnen nun auch erstmalig die Chance verbaut, mindestens an einer Vorausstellung teilzunehmen: nach Mappendurchsicht entschied sich die Jury, Originale von gerade 20 Bewerbern anzuschauen, statt wie bisher, eine Leistungsschau zu organisieren, auf der das Gros der Bewerber seine Arbeiten zeigen konnte. Offizieller Grund dieses Verfahrens, das sich die Mitglieder der Jury (u.a. Deichtorhallenchef Zdenik Felix, die Galeristen Munro, Priess und Jans, Referatsleiter in der Kulturbehörde Achim Könnecke) selbst verordnet haben, ist Raumnot. Angeblich, so Hinrich Schmidt-Henkel, Pressesprecher der Kulturbehörde, wäre es schon ein Problem gewesen, einen Raum für die 20 Künstler zu finden, die jetzt Ende des Monats in der K3 ausstellen werden.
Schon bevor die Namen der 20 Finalisten feststehen, regt sich in der Hamburger Künstlerschaft Protest. Versammlungen haben stattgefunden und eine zusätzlich alternative Ausstellung im Künstlerhaus Weidenallee ist geplant. Es weht ein Wind, wie bei historisch verbürgten Künstler-Sezessionen. Und doch will niemand so recht namentlich sein Wort erheben und es sich mit der Behörde verderben. Ein offizielles Statement der Bewerber-Gruppe wird erst nach erneuten Treffen für Freitag erwartet.
Bisher war in Hamburg die Stipendiatenausstellung zusammen mit der Jahresausstellung der HfBK eine der beiden ebenso verwirrend vielfältigen wie anregenden Übersichten zur Entwicklung der Kunstszene, ein Wegfall der ersteren ist schon deshalb zu bedauern. Außerdem bleiben doch immer Zweifel, ob Qualität von Kunst durch Fotos oder Projektbeschreibungen hinreichend dargestellt werden kann.
Schließlich geht es um Entscheidungen über 200000 Mark. Und dabei ist bei aller individueller Freiheit und Kompetenz der Jurypersönlichkeiten eine gewisse Berechenbarkeit der öffentlichen Hand innerhalb gesetzter formaler Richtlinien gefragt. Ein einstmals vorbildhaftes Modell darf nicht zum barocken Gnadenakt werden. Es gibt gewichtige Gründe, das Kunstoriginal als ein historisches Relikt zu betrachten, aber nirgends wären solche philosophischen Diskurse falscher als bei der Stipendienvergabe für bildende Kunst. Am besten wäre es, eine Jury würde durch die Ateliers wandern, aber ist dieses Ideal schon nicht realisierbar, sollte sie immerhin mehr als nur Projektpapiere anschauen. Hajo Schiff
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