■ Siemens/Kraftwerksunion weiter auf Ausstiegskurs: Geordnetes Auslaufen
Einmal im Jahr wiederlegt Adolf Hüttl ein sorgsam gepflegtes Vorurteil. Der Chef der Erlanger Siemens- Dependance KWU tut das gänzlich unfreiwillig. Denn daß die deutsche Atomwirtschaft ohne Siemens auskommen könnte oder umgekehrt Siemens ohne das Strahlengeschäft, erscheint Freund und Feind der Atomkraftnutzung gleichermaßen unerträglich. In Erlangen, so die weitverbreitete Vorstellung, schlägt wie eh und je das Herz der nationalen Nuklearwirtschaft. Die nackten Zahlen, die Hüttl jetzt vorlegte, sprechen eine andere Sprache.
Während der konventionelle Kraftwerksbau boomt und der Münchner Weltkonzern sich zu einem der führenden Lieferanten umwelt- und klimafreundlicher Energietechnologie mauserte, erlebt der Nuklearbereich einen deprimierenden Niedergang. Zwei Drittel des Geschäftsvolumens stammen heute aus modernen Gas- und Kohlekraftwerken, ein Drittel aus dem Atomgeschäft. Vor fünf Jahren war es noch umgekehrt. Zwei Meiler in Brasilien, einer in Argentinien zieren seit Jahren die Auftragsbücher – allesamt Altlasten aus den 70er Jahren, allesamt Bauruinen. Dem Brennelementegeschäft, das die Manager ungebrochen als „tragende Säule“ des Nuklearbereichs verteidigen, droht in Hanau der Zusammenbruch. Im Gesamtkonzern ist das Erlanger Atombiotop längst zu einer Unterabteilung Materialverwaltung zusammengeschrumpft. Knapp 2 Prozent der weltweit 400.000 Mitarbeiter verdienen ihre Brötchen auf dem Feld der Strahlentechnologie. Zum Umsatz tragen sie – noch – 2,6 Prozent bei.
Der Weltkonzern Siemens wäre jederzeit in der Lage, seine Atomabteilung ersatzlos aufzulösen. Dennoch bestehen die Manager weiter darauf, den Namen ihrer Firma mit der imageschädigenden Atomtechnologie in Verruf zu bringen. Für die Rettung der Erlanger Zwei-Prozent-Abteilung binden sie einen gewichtigen Teil ihrer Management-, Forschungs-, Entwicklungs- und nicht zuletzt ihrer Public-Relations-Anstrengungen. Das alles in der vagen Hoffnung, die Atomkraft werde sich doch noch einen Platz in der Weltenergieversorgung sichern. Die Münchner Konzernzentrale praktiziert, was sie ihren Gegnern stets unterstellt hat: Irrationalität und ideologische Verbohrtheit. Doch Bilanzen lügen nicht. Während die Debatte über den Atomausstieg gerade in die x-te Runde geht, ist das „geordnete Auslaufen“ der Nukleartechnik bei Siemens längst ein Faktum. Adolf Hüttl liefert Jahr für Jahr den Beweis, nur glauben will er es nicht. Gerd Rosenkranz
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