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Menschenrechte nicht gefragt

■ Hilfsorganisationen und migrationspolitisch erfahrene Institutionen wie der Europarat werden übergangen

Der Eiserne Vorhang war noch nicht richtig gefallen, da gaben westeuropäische Politiker schon die Warnung vor einer „neuen Völkerwanderung“ aus dem Osten aus. Hunderttausende in Ungarn, Bulgarien und Rumänien würden nur auf die Gelegenheit warten, sich nach Westen in Bewegung zu setzen, hieß es. Aus der ehemaligen Sowjetunion wurden bis zu vier Millionen Flüchtlinge prognostiziert. Horrorszenarios zeigten halb Europa auf der Flucht vor ethnischen, religiösen und politischen Konflikten oder vor ökonomischer und ökologischer Verelendung.

Vier Jahre danach läßt die Massenflucht weiter auf sich warten. Die Sorge davor bewegt dennoch stärker als je zuvor die europäische Politik. Zusätzlich zu den bekannten Institutionen Europarat und UNO, die sich in Jahrzehnten Kompetenz und Fachpersonal zum Thema Migration zugelegt haben, gab es eine Fülle neuer Initiativen und Konferenzen. Ziel: die Zuwanderung begrenzen.

Treibende Kräfte bei den gesamteuropäischen anti-migratorischen Bemühungen sind die beiden westeuropäischen Länder mit den längsten Landgrenzen zu Osteuropa: die Bundesrepublik Deutschland und Österreich. Beide setzen darauf, daß eine multilaterale Zusammenarbeit die Zuwanderung leichter begrenzen kann als bilaterale Abkommen. Kein Wunder, daß in Wien und Berlin die beiden gegenwärtig entscheidendsten anti-migratorischen Prozesse Europas in die Wege geleitet wurden. In Wien trafen sich 1990 Wissenschaftler und Politiker, um Mechanismen zu erörtern, mit deren Hilfe Migrationen frühzeitig verhindert werden können. Das „Frühwarnsystem“ der „Wiener Schiene“ ist weiterhin in der Diskussion. In Berlin kamen im Herbst 1991 erstmals Innenminister aller europäischen Länder zusammen, um gemeinsame Polizeimaßnahmen gegen „illegale Immigranten“ zu schaffen. Bei der Gelegenheit entstand die deutsch-österreichische Zusammenarbeit, deren Ergebnis auch die in Budapest verabschiedeten Vorschläge sind.

Vertretern von Hilfsorganisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern, fällt es schwer, bei dem schnellen Konferenzrhythmus der Regierungen mitzuhalten. Ganz abgesehen davon, daß ihre Anwesenheit bei Innenministertreffen wie dem in Budapest nicht nur unerwünscht, sondern ausgeschlossen ist. Lediglich das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) durfte bei den Vorbereitungen für Budapest die Interessen der Flüchtlinge vertreten. In einem höflichen Brief an den gastgebenden ungarischen Innenminister schrieb UNHCR- Chefin Sadako Ogata Anfang Januar, sie hoffe, daß die „globalen Flüchtlings- und Migrationsthemen“ von den Ministern berücksichtigt würden. Als beruhigend empfand sie, daß der Beschlußentwurf immerhin den Hinweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention enthalte.

Die meisten unabhängigen Hilfsorganisationen stehen der Polizeizusammenarbeit eindeutig ablehnend gegenüber. Zu stark ist ihnen die Diskussion über „Sicherheit“ und „Abwehr“ von Flüchtlingen in den Vordergrund getreten. Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge „Pro Asyl“, erklärte gestern, Budapest lasse „jeden humanitären Akzent vermissen“. Weder spiele eine international notwendige Abstimmung über die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina eine Rolle noch der Schutz und die Rechte der Minderheiten in den Krisen-Ländern.

Der Sprecher des in Brüssel ansässigen europäischen „Kirchenkomitees für Migranten in Europa“, Jan Nissen, kritisiert, daß sich die Innenminister mit Separatkonferenzen der Kontrolle entziehen. „Sie treffen sich außerhalb von Institutionen wie dem Europarat, weil sie die Menschenrechtsverpflichtungen umgehen wollen“, sagt er. Maßnahmen gegen Schlepperorganisationen hingegen sind auch bei Hilfsorganisationen erwünscht. Nur sei dafür die Budapester Konferenz Überflüssig. Nissen: „Schlepper sind Kriminelle. Gegen die gibt es Gesetze. Die braucht man nur anzuwenden.“ Dorothea Hahn

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