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■ Auf eigene Faust gründete Monika Hauser in Bosnien ein Therapiezentrum für vergewaltigte Frauen. Ein Gespräch mit der Ärztin über Leben und Arbeit im bosnischen ZenicaHilfe für vergewaltigte und gefolterte Frauen in Bosnien

Die Südtirolerin Monika Hauser ist in der Schweiz aufgewachsen, hat in Innsbruck und Bologna Medizin studiert und wurde in Essen zur Gynäkologin ausgebildet. Vier Jahre lang arbeitete die heute 33jährige an der Essener Universitätsklinik schwerpunktmäßig mit Mädchen und Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden. Der folgenlosen Betroffenheit leid, fuhr sie Ende Dezember auf eigene Faust nach Zenica in Zentralbosnien, um ein Projekt für vergewaltigte Frauen auf den Weg zu bringen.

taz: Warum hast du dich für Zenica entschieden?

Monika Hauser: Zenica ist mit 85.000 EinwohnerInnen die größte Stadt im befreiten, also nicht von Serben besetzten Bosnien und ein Standort, der mir im Januar noch sicher erschien. Außerdem befindet sich in Zenica das „Zentrum zur Erfassung der Kriegsverbrechen und des Genozids am muslimanischen Volk“. Das ist ein Zentrum, dessen MitarbeiterInnen seit Mai die in großer Zahl ankommenden Flüchtlinge nach ihren Erfahrungen befragen. Es geht ihnen vor allem um eine Dokumentation, die eine spätere Verurteilung der Kriegsverbrecher ermöglichen soll. So ist ein einmaliger Reichtum an Zeugnissen zusammengekommen, etwa 35.000 Interviews.

Werden die Frauen speziell nach Vergewaltigungserfahrungen gefragt?

Ja, sie haben einen Fragebogen entwickelt, in dem diese Frage explizit gestellt wird. Die vergewaltigten Frauen werden vor allem von einer Historikerin – Professorin Fadila Memisevic – betreut. Zu ihr haben die Frauen Vertrauen und sind bereit, ihre Geschichte zu erzählen, was den Frauen sonst sehr schwer fällt. Viele von ihnen sind psychisch und physisch schwer traumatisiert.

Außerdem kommt ein Großteil der betroffenen Frauen aus ländlichen Regionen und lebt in sehr traditionellen Familienstrukturen. Der Islam in Bosnien hat zwar wenig mit dem Islam zu tun, den wir aus den arabischen Ländern kennen. Trotzdem haben diese Frauen große Ängste: Wie wird ihre Familie es aufnehmen, wenn sie darüber sprechen? Verstößt sie der Ehemann? Verstößt sie der Vater? Diese Ängste sind durchaus real begründet.

Hattest du keine Schwierigkeiten, für dein gynäkologisches Frauentherapiezentrum entsprechend ausgebildete Mitarbeiterinnen zu finden?

Mir ist in Zagreber Frauenkreisen gesagt worden: Du wirst in Zenica keine Feministinnen finden. Woher sie diese Überzeugung hatten, weiß ich nicht, denn ich habe in Zenica sehr wohl Feministinnen gefunden. Es sind sofort Frauen auf mich zugekommen, als sie von meiner Anwesenheit und meinen Plänen erfuhren. Im September letzten Jahres haben acht PsychologInnen, drei Frauen und fünf Männer, in Zenica ein psychotherapeutisches Zentrum gegründet. Dieses Zentrum richtet sich allgemein an Flüchtlinge und Soldaten. Sie haben noch keine Möglichkeit gefunden, sich speziell um vergewaltigte Frauen zu kümmern. Die drei Psychologinnen des Zentrums waren begeistert von meinem Projekt und haben sofort ihre Mitarbeit angeboten.

Ich habe also mittlerweile drei Psychologinnen und zwei Psychiaterinnen gefunden, von denen eine seit fünf Jahren frauenspezifische Arbeit macht; außerdem arbeiten noch zwei Anästhesistinnen und fünf Krankenschwestern im Projekt mit. Drei dieser Krankenschwestern arbeiten in der Frauenklinik. Über Monate hinweg sind immer wieder Frauen in die Klinik gekommen, die im fünften, sechsten, siebten Schwangerschaftsmonat waren und denen der Chefarzt nicht helfen konnte, weil ihm die technischen Möglichkeiten fehlen, zu diesem späten Zeitpunkt einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen.

Eine 27jährige Frau beispielsweise, die viele Wochen in einem Vergewaltigungslager festgehalten wurde, konnte mit ihrer zweijährigen Tochter fliehen. In Zenica ist sie zusammengebrochen, sie war physisch und psychisch völlig am Ende. Aber auch ihr konnte man in der Klinik nicht helfen. Sie hat sich am Tag nach ihrer Entlassung das Leben genommen.

Wie ist denn die Reaktion, wenn du von Schwangerschaftsabbrüchen sprichst?

Ich habe der Stadt gegenüber ziemlich schnell klargemacht, daß diesen Frauen psychologisch nur zu helfen ist, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch bekommen können. Das Wohlwollen, auf das ich damit bei allen Seiten gestoßen bin, kann ich mir nur damit erklären, daß sie sehr große Probleme auf sich zukommen sehen, wenn für alle diese ungewollten Kinder in Zenica Heimplätze gefunden werden müssen.

Von Anfang an habe ich klargemacht, daß ich völlig unabhängig arbeiten will und mich weder von der Religion noch von der Regierung vereinnahmen lassen werde. Es gab im Januar ein Symposium in Zenica mit dem Titel „Vergewaltigte muslimanische Frauen – was nun?“, auf dem auch religiöse Philosophen und zwei Imame gesprochen haben. Die religiösen Philosophen forderten klipp und klar, daß vergewaltigte Frauen die Kinder auf die Welt bringen und sie auch lieben müßten. Der Imam von Zenica hingegen gibt die Erlaubnis, bis zum 120. Schwangerschaftstag abzutreiben, also in den ersten vier Monaten der Schwangerschaft.

Welche Rechtsprechung gilt derzeit in Bosnien?

Es gilt eine Fristenregelung bis zur 10. Schwangerschaftswoche. Auf dem Symposium in Zenica erklärte der Leiter des Dokumentationszentrums, ein Jurist, daß er und einige andere Staatsadvokaten zur Zeit an einem Entwurf für ein Gesetz arbeiten, das natürlich nur in der jetzigen Kriegssituation gelten und der Frau einen von ihr gewünschten Schwangerschaftsabbruch zu jedem Zeitpunkt ermöglichen soll, ohne sie zu kriminalisieren.

Wie läßt sich das medizinisch realisieren?

Der technische Schwangerschaftsabbruch, wie wir ihn kennen, ist sicherlich nur in den ersten drei Monaten machbar. Danach muß die Gebärmutter mit Hormonen so bereit gemacht werden, daß es zu einer Ausstoßung kommt. Das ist zu jedem Schwangerschaftszeitpunkt möglich. In Deutschland hat man im Fall einer Frühgeburt die Möglichkeit, Intensivmaßnahmen zu ergreifen, wenn es nach Absprache mit der Kinderklinik und der Mutter als realistisch gilt, daß das Kind überleben könnte. Was wir in Zenica in einer solchen Situation machen werden, ist schwer zu sagen. Ich habe mit der dortigen Frauenklinik Kontakt aufgenommen. Die Ärzte sind völlig überfordert mit der Problematik der zunehmenden Frühgeburten. Da sämtliche Intensivmaßnahmen, die wir hier kennen, fehlen, steigt die Sterblichkeitsrate natürlich enorm. Daß es auch für unser Team viele sehr schwierige ethische Fragen geben wird, versteht sich von selbst. Aber es ist ein absoluter Ausnahmezustand, der von uns verlangt, neu Stellung zu beziehen.

Wir wissen zwar, daß es viele vergewaltigte Frauen gibt, aber werden sie auch den Weg zu eurem Projekt finden?

Mir ist gesagt worden, daß das Haus schnell zu klein sein wird, wenn wir einmal mit der Arbeit begonnen haben. Unsere Arbeit besteht ja aus drei Teilen: erstens die gynäkologische Ambulanz, die allen vergewaltigten Frauen offenstehen wird; zum zweiten wollen wir Raum schaffen für etwa 20 Frauen, die dort zur Ruhe kommen und körperlich gesunden können und dabei kontinuierlich psychologisch betreut werden sollen. Und zum dritten will das Team raus in die Camps gehen, wo die meisten Frauen leben, um ihnen dort beim Aufbau von Selbsthilfegruppen zu helfen und sie finanziell und psychologisch zu unterstützen. Der größte Teil der Frauen wird von dem Haus selbst nicht erreicht werden und braucht daher ambulante Hilfe.

Habt ihr schon ein Haus?

Ich habe mich nach vielen Mühen für einen Kindergarten entschieden, den mir die Stadt vermietet. Das Haus hat zwei Stockwerke. Im Erdgeschoß wird die Ambulanz sein, im ersten Stock können Frauen wohnen.

Du hast jetzt vier Wochen in Zenica gelebt. Wie geht es einem in einer eingeschlossenen Stadt?

Die Menschen haben genügend Grundnahrungsmittel, was fehlt, ist frisches Gemüse und Obst – es ist nur zu horrenden Preisen zu bekommen. Der Durchschnittslohn liegt zwischen vier und zehn Mark, der Chefarzt der Klinik verdient fünfzehn Mark, ein Kilo Orangen kostet auf dem Markt drei Mark, sechs Rollen Klopapier kosten sieben Mark. Es gibt Güter, die für die meisten Menschen unerschwinglich sind.

Man muß aber auch unterscheiden zwischen dem Leben der EinwohnerInnen und dem der 120.000 Flüchtlinge, die in und um Zenica leben. Die Leute aus Zenica haben seit Monaten Lebensmittel gehortet, und sie haben Ersparnisse, die sie jetzt langsam aufbrauchen. Ab und zu gönnen sie sich also auch frisches Obst. Ich bin oft zu Gast bei Familien gewesen, und der Tisch war immer reich gedeckt. Die Flüchtlinge – meistens Frauen und Kinder – sind auf das angewiesen, was ihnen die humanitäre Hilfe bringt. Ansonsten spürt man in Zenica vom direkten Krieg bis jetzt noch nichts. Der spielt sich 20 bis 30 Kilometer außerhalb der Stadt ab. In der Stadt fühlt man sich sicher. Die Bevölkerung baut darauf, daß die bosnische Armee die Frontlinie wird halten können. Das gehört einfach mit zur Überlebensstrategie. Das Schreckliche ist, daß man sich nach ganz kurzer Zeit daran gewöhnt. Ich war ständig damit beschäftigt, mit der Bürokratie zurechtzukommen. Ich brauche Tausende von Erlaubnisschreiben für alles. Das waren im Endeffekt die Probleme, die den Alltag bestimmt haben.

Können sich die Menschen in Zenica noch vorstellen, mit den anderen Ethnien zusammenzuleben?

Das für mich Erstaunliche war, daß die Menschen immer wieder betont haben, sie hätten jahrzehntelang mit Kroaten und Serben in völliger Eintracht zusammengelebt und wollten nach dem Krieg genauso weiterleben wie vorher. Es leben auch in Zenica bosnische Serben und bosnische Kroaten, wobei die Serben das natürlich nicht an die große Glocke hängen.

Die BewohnerInnen von Zenica sagen alle, sie könnten den Owen-Plan nicht akzeptieren, weil die ganze bosnische Bevölkerung, die nicht geflüchtet sei, in Kantonen leben müßte, die gar nicht so viele Menschen aufnehmen könnten. Daß nach allem, was passiert ist, das Bedürfnis, in kroatischen und serbischen Gebieten zu leben, nicht besonders groß ist, versteht sich. Also müßten die Muslimanen fliehen. So gesehen kommt der Owen-Plan einer ethnischen Säuberung gleich.

Rupert Neudeck von Cap Anamur hatte die Idee, mit einer großen Gruppe von Menschen zu einem Vergewaltigungslager zu gehen und die Frauen zu befreien. Ist das machbar?

Das Dokumentationszentrum in Zenica schätzt, daß es ungefähr 20 Vergewaltigungs-Todeslager gibt, von denen wir nicht wissen, wo sie sich befinden. Die Idee, zahlreich und kraftvoll diese Lager zu stürmen, ist absolut faszinierend, und ich würde sofort mitmachen. Allerdings werden diese Lager, sobald sie in der Öffentlichkeit bekannt werden, innerhalb weniger Stunden geräumt. Ein Journalist, der die Angaben der Journalistin Alexandra Stiglmayer nachrecherchieren wollte, hat nichts vorgefunden, was auf ein Lager hingedeutet hätte. Abgesehen davon ist ein solcher Marsch sehr gefährlich. Ich halte diese Idee nicht für realistisch.

Wie muß man sich so ein Lager praktisch vorstellen?

Im Lager Trnopolje in der Nähe von Prijedor wurden im April und Mai 10.000 Menschen gefangengehalten. Das war kein ausgesprochenes Vergewaltigungslager. Ich habe mit zwei jungen Mädchen gesprochen, die dort mit ihren Familien etwa 14 Tage verbracht haben. Sie konnten mit dem ersten großen Konvoi von 5.000 Flüchtlingen nach Zenica ausreisen. Die beiden Mädchen haben erzählt, daß es kein Wasser gab und sie deshalb schon nach wenigen Tagen völlig verdreckt waren. Zu jeder Tageszeit seien Tschetniks durch das Lager gestreunt und hätten sich Frauen ausgesucht. Die beiden Mädchen waren zum einen durch ihr verdrecktes Aussehen geschützt, zum anderen haben sich ältere Frauen auf sie drauf gelegt, wenn die Tschetniks in ihren Teil des Lagers kamen.

Die eigentlichen Vergewaltigungs-Todeslager sind kleiner, zum Beispiel in Turnhallen. Schon seit einiger Zeit bekannt ist auch das Restaurant „Sonja“ in einem Vorort von Sarajevo. Dort werden vorzugsweise 10- bis 15jährige Mädchen festgehalten. Eine Zeugin konnte fliehen. Sie sagte, sie habe viele junge Mädchen, die am Anfang mit ihr in diesem Restaurant waren, nie wiedergesehen.

Das Restaurant „Sonja“ soll auch ein beliebter Aufenthaltsort von UNO-General Mackenzie gewesen sein. Er soll fünf Mädchen mit sich genommen haben, und man hat nie wieder etwas von ihnen gehört. In Zenica erzählen sich die Leute, daß in Sarajevo ein Video von Mackenzie kursiert, auf dem seine abartigen Praktiken dokumentiert sein sollen.

[UNO-General Mackenzie hält sich mittlerweile wieder in seiner Heimat Kanada auf. Er wurde – ohne Angabe von Gründen – frühzeitig pensioniert, d.Red.]

Ich möchte nicht als bosnische Propagandistin erscheinen. Aber nachdem ich vier Wochen in Zenica gelebt habe und eine, vor allem für meine muslimanischen ReisebegleiterInnen sehr gefährliche Rückreise erlebt habe, muß ich schon sagen, daß die bosnischen MuslimanInnen auf allen Seiten nur Feinde haben. Sie werden erdrückt von den serbischen Tschetniks und zunehmend auch von der HVO, der kroatischen Armee in Bosnien. Es ist kein Kampf aller gegen alle. – Natürlich traue ich keiner Armee dieser Welt, und natürlich tut die bosnische Armee auch Dinge, die abscheulich sind. Trotzdem meine ich, daß das bosnisch-muslimanische Volk unbedingt unterstützt werden muß. Wenn die Situation sich weiter zuspitzt, kann man eigentlich nur eine bewaffnete Selbstverteidigung der Zivilbevölkerung fordern. Denn die Frauen wissen nur zu genau, was ihnen bevorsteht, wenn sie von den Tschetniks überrannt werden. Und da wir alle wissen, was in den letzten Monaten passiert ist, müssen wir dafür sorgen, daß diese Frauen sich und ihre Kinder schützen können. Interview: Erica Fischer

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