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Nur "nicht-störendes Gewerbe"

■ Übungsräume im Schlachthof sollen verschwinden / Situation für Musiker weiterhin katastrophal / Große Anfrage der SPD-Fraktion belegt unhaltbare Zustände / Rock-Initiativen wollen jetzt zusammenarbeiten

sollen verschwinden/Situation für Musiker weiterhin katastrophal/Große Anfrage der SPD-Fraktion belegt unhaltbare Zustände/Rock-Initiativen wollen jetzt zusammenarbeiten

Tiere schreien hier nicht mehr. Doch ums Überleben geht es in der ehemaligen Tötungsstätte für Rinder trotzdem, und zwar um das künstlerische Überleben der 300 Hamburger Musiker und Musikerinnen, die in der ausgedienten Rinderhalle des Schlachthofs proben und nun von der STEG rausgeschmissen werden sollen.

Über dem Erdgeschoß des wilhelminischen Gebäudes üben seit Mitte der achtziger Jahre Musiker und Musikerinnen in den ehemaligen Büroräumen. Verwaltet werden die feuchten, unbeheizten Proberäume vom Verein Rockbüro, der neben der Rinderschlachthalle noch andere Gebäude, meist Bunker, zu Übungszwecken an Bands vermietet. Der Verein, der ingesamt rund 500 Mitglieder aufweisen kann, wird hauptsächlich von der Kulturbehörde finanziert.

Im Rahmen des großen Sanierungskonzeptes von St. Pauli Nord soll auch das südliche Schlachthofgelände umgestaltet werden. Der ehemalige Besitzer der Rinderschlachthalle, das „Vieh- und Fleischzentrum“, kündigte den Mietvertrag mit dem Rockbüro schon zum Ende des vorigen Jahres. Formal sind damit die Übungsräume in der Rinderschlachthalle ohne Vermieter. Doch die STEG wird bald die Verwaltung und Vermietung der Übungsräume übernehmen.

Das „bürgernahe“ Konzept der Gesellschaft, versichert der STEG- Pressesprecher Rüdiger Dohrendorf, sieht eine „Funktionsmischung aus Wohnen und nicht-störendem Gewerbe“ für die Rinderhalle vor. Sollte dieser Plan Realität werden, bedeutet das das Aus für Übungsräume im Schlachthof. Denn der Begriff „nicht-störendes Gewerbe“ grenzt derartige Aktivitäten a priori aus.

Die STEG sieht ein, daß nach dem jetzt vorliegenden Konzept „die Musiker auf dem Schlauch stehen“. Doch mit dem Rockbüro zusammen würden sie nach „Ausweichquartieren“ suchen. Angeboten wurde dem Verein bislang nur der ehemalige Krankenhausbunker im Lütgens-Park. Der biete mit seinen sieben Etagen „reichlich Platz“, so Dohrendorf, und sei „für Musiker wegen der dicken Wände prädestiniert“. Doch ein Umbau, der die Nutzung ermöglichen würde, kostet nach Schätzungen des Finanzbauamtes zwischen 600000 und 700000 Mark. Die Kulturbehörde, die den Verein Rockbüro mit 70000 Mark im Jahr unterstützt, sagte dazu eindeutig „njet!“ „Aus den laufenden Etats sind Unterstützungen in dieser Größenordnung nicht zu leisten“, bedauert der zuständige Referatsleiter in der Kulturbehörde, Helmut Tschache.

Marion Steinbach, Vorstandsmitglied des Rockbüros, sieht schwere Zeiten auf sich zu kommen. Neben internen Vorstands-Querelen, mit

1denen das Rockbüro zu kämpfen hat, muß sie sich jetzt auch noch für den Erhalt der 22 Übungsräume im Schlachthof stark machen. Einziges Zugeständnis der STEG: ein Teil des sogenannten Kopfgebäudes der Rinderhalle darf weiterhin vom Rockbüro genutzt werden.

Daß Musiker und Musikerinnen in Hamburg „standhaft und kampfhaft“ sein müssen, um zu überleben, weiß nicht nur der Gitarrist Christof Jessen. Die Misere scheint auch der SPD-Bürgerschaftsfraktion

1aufgefallen zu sein. Eine große Anfrage der SPD an den Senat brachte keine neuen Erkenntnisse: Im Vergleich zur Klassik und zur E-Musik werden der Popularmusik verschwindend kleine Etats zur Verfügung gestellt. Für das Rockbüro, für Übungsräume und für den Verein Musizierende Toiletten, der stillgelegte Örtchen zu Übungsräumen herrichtet, wurden dieses Jahr insgesamt nur 169000 Mark bewilligt. Dies sind nicht nur 7000 Mark weniger als im Vorjahr, sondern auch

1nur ein Hundertstel des E-Musik- Etats, Oper nicht mitgerechnet.

Die Übungsraum-Knappheit macht allen Hamburger Musikvereinen Sorge. Deshalb wird eine engere Zusammenarbeit zwischen Rockbüro, RockCity und den Musizierenden Toiletten angestrebt. „Konkurrenz wäre Quatsch“, urteilt Marion Steinbach vom Rockbüro. In der momentanen Situation, in der immer mehr billigen Übungsräume verloren gehen, ein sinnvoller Schritt. Annette Bolz

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