: Muhammeds Garten
In Kairo hat sich die erste Bürgerinitiative gegründet ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Sie nennen ihn zärtlich Onkel Muhammed, die Nachbarn und Kinder des Viertels. Jeder kennt ihn. Mit seiner Gärtnerei und der Baumschule hat er eine fast unwirkliche grüne Insel inmitten des unwirtlichen und staubigen Molochs Kairo geschaffen. Haushohe Maulbeerbäume, Bananenstauden und Palmen in allen Größen spenden Schatten, in dem zahllose Zierpflanzen gezüchtet und verkauft werden. Onkel Muhammed ist sichtlich stolz auf sein Werk, das er hier in 23 Jahren mit seinem Chef und Verwandten Sami Sadiq aus einem Haufen Sand und Müll geschaffen hat.
Doch in den letzten Wochen stand der Kummer in Onkel Muhammeds Gesicht geschrieben, wenn er im Schatten seiner Bäume Gäste empfing. Denn während er inmitten seiner Pflanzen Tee serviert, dröhnt der Lärm einer nur wenige Meter entfernten Baustelle herüber, die das sonst in Kairo so seltene Vogelgezwitscher übertönt. Seit Wochen sieht Onkel Muhammed nun zu, wie sich sein Park Stück um Stück in eine Wüste zurückverwandelt – diesmal in eine Bau-Wüste.
Die Geschichte seines langsam ausblutenden Parks ist schnell erzählt. Das Drama begann, wie so oft, mit einem Erlaß: Mit dem Dekret Nr. 857 hatte der ägyptische Ministerpräsident Atef Sidqi 1991 dem Berufsverband der Ingenieure etwas mehr als die Hälfte des elftausend Quadratmeter großen öffentlichen Parks zugesprochen, den Sami Sadiq auf dem Land errichtet hatte, das er vor über zwanzig Jahren vom Staat gepachtet hatte. Mit dieser Entscheidung bekam der Ingenieursverband eines der immobilen Filetstücke inmitten des teuersten Bodens der Nilmetropole zugesprochen. Ein Freizeit-Club ausschließlich für Ingenieure soll nun auf dem Grund entstehen.
Der Baulärm auf Onkel Muhammeds Teeparty stammt also von den Arbeiten an einem mittlerweile zweistöckigen verschalten Betongebäude – seit letztem Dezember schafft der Ingenieursverband Fakten. Ein großer Teil des Parks wurde bereits abgeholzt und ähnelt jetzt einer Großbaustelle. „Die arbeiten in drei Schichten, als ob sie einen Flughafen bauen würden“, sagt einer der Nachbarn kopfschüttelnd.
Die Geschichte des sterbenden Parks ist unvollständig, wenn man nicht die riesige Müllhalde hinter der Baustelle erwähnt, zu der Onkel Muhammed seine Besucher führt. Auch das war früher ein Teil seines Parks, erzählt er. „Im Besitz der Vereinigten Arabischen Emirate“ steht auf einem Schild am Zaun geschrieben. Der stets spendable ägyptische Ministerpräsident Atef Sidqi hat es vor drei Jahren den Emiraten für die Errichtung eines Botschaftsgebäudes geschenkt. Der Park ist an dieser Stelle nun komplett gerodet, aber von einer Botschaft ist weit und breit nichts zu sehen.
Nun wäre das alles eigentlich nichts Ungewöhnliches – tagtäglich geht in Ägypten mehr kultiviertes Land als Bauland verloren als zur gleichen Zeit durch teure Neulandgewinnung in der Wüste wieder begrünt wird. Oftmals illegal, denn der stadtnahe Grund und Boden ist Objekt wüster Spekulationsgeschäfte. Wo die Felder noch vor einem Jahrzehnt bis an die Pyramiden von Giza heranreichten, hat sich nun die Stadt bis fast an die Krallen der Sphinx vorgearbeitet.
Was Onkel Muhammed und seinen Park so erwähnenswert macht, ist etwas anderes. Es ist der Widerstand, den er und die Nachbarn gegen die Parkzerstörung auf die Beine stellen. Als die Bulldozer und Zementmixer der Baufirma im Dezember letzten Jahres vorfuhren, blockierten rund 200 Demonstranten kurzerhand den Eingang des Parks. „Hände weg von den Lungen unserer Kinder“ und „Leben ohne Bäume ist wie Leben ohne Wasser“ stand auf ihren Transparenten geschrieben. Nicht nur die Anwohner, auch ÄrztInnen und PflegerInnen aus dem benachbarten Krankenhaus, Schulkinder und Passanten übten sich in einer völlig neuen Politikform, der Umwelt zuliebe.
Damit waren die Fundamente für die erste Nachbarschafts-Umweltinitiative gelegt. Ganz im klassischen BI-Stil wurde erst einmal gegen die Entscheidung Atef Sidqis Klage beim Verwaltungsgericht eingelegt. Der Staat dürfe zwar öffentliches Land an Institutionen vergeben, aber nur wenn dies dem öffentlichen Wohl nicht widerspreche, begründet Amir Salim, der Anwalt der Nachbarn, die Klage. Ein Privatclub diene nicht dem Gemeinwohl, und das Abholzen des Parks verstoße gegen das allgemeine Interesse an einer intakten Umwelt. Der Gärtner streitet sich derweil ebenfalls vor Gericht mit dem Ingenieursverband um die Nutzungsrechte an dem Gelände.
Auch ein dreistündiger Videofilm wurde über die ganze Sache gedreht, der dann an die Frau des ägyptischen Präsidenten Mubarak verschickt wurde. Die Presse wurde mobilisiert, und die recht einflußreiche Nachbarschaft übt sich in traditioneller Lobbyarbeit: „Ich habe gestern mit meinem Freund, dem Generalsekretär, telefoniert ...“ Onkel Muhammeds Gartenhaus ist inzwischen zur Aktionszentrale avanciert. Dort trifft sich die Nachbarschaft, um alles weitere zu besprechen, während Onkel Muhammed mit dem Anwalt telefoniert.
Zur Zielscheibe der Kritik wurde vor allem der Minister für Wohnungsbau, Hasaballah El- Kafrawi, der beim Kontrahenten der jungen Bürgerinitiative, beim politisch einflußreichen Ingenieursverband gleichzeitig das Amt des Vorsitzenden innehat. Diese Verbindung sehen die meisten als Grund des ganzen Übels an. „Kafrawi hat zwei Köpfe“, sagt einer der Nachbarn. Er ist es, der hinter der Entscheidung von Ministerpräsident Sidqi steht, heißt es allgemein. El-Kafrawi und Sidqi zählen zu den dienstältesten Kabinettsmitgliedern. El-Kafrawi wolle den Ingenieuren ein Zuckerstück servieren, um erneut zum Vorsitzenden gewählt zu werden, sagt einer der Nachbarn, der selbst Ingenieur ist. Als einen Tag nach dem Sit-in der Gärtner verhaftet wurde, behaupteten viele, El-Kafrawi höchstpersönlich sei in der örtlichen Polizeiwache vorstellig geworden.
Die Pressekampagne trägt inzwischen erste Früchte. „Ist es zu glauben, daß Atef Sidqi beschließt, Bäume abzuholzen, der Mann, der unter der Kuppel des Parlaments von der Notwendigkeit sprach, grüne Plätze zur Rettung Kairos zu schaffen?“ fragt die Oppositionszeitung Al-Wafd. „Wie ist das möglich, während der Präsident keine Gelegenheit ausläßt zu betonen, daß die Grünflächen nicht zu Bauland gemacht werden dürfen?“ schreibt die regierungsnahe Zeitschrift Oktober.
„Wieviel Wert auf das Wohlbefinden der Menschen gelegt wird, merkt man an dem Dreck, den wir hier tagtäglich einatmen müssen“, sagt Onkel Muhammed und verteidigt seine Bäume als Luftreiniger. Berichte über die Zusammensetzung der Atemluft in Kairo lesen sich in der Tat wie ein Endzeitroman. Zehnfach überschrittene Grenzwerte sind keine Seltenheit. An manchen Tagen ist die andere Seite des Nils unter Staub und Abgasen verschwunden, die sich einem Nebel gleich über die Stadt legen. „Da könnte man zumindest erwarten, daß die wenigen bestehenden Grünflächen nicht zum Freizeitvergnügen irgendwelcher Ingenieure zerstört werden“, sagt ein frustrierter Anwohner.
Die meisten öffentlichen Beschwerdestellen haben bisher nicht reagiert. „El-Kafrawi hat alle zum Schweigen gebracht“, sagt Onkel Muhammed. Beim Ministerpräsidenten und beim Gouverneur von Giza ist „das eine Ohr aus Lehm gemacht, das andere aus Teig“, zitiert Al-Wafd eine ägyptische Redensart. Zu deutsch: Sie stellen sich taub. Und die Mühlen der ägyptischen Justiz mahlen langsam. Während die Ingenieure in Tag- und Nachtschichten ihren Freizeitclub aus dem Boden stampfen, warten die Nachbarn auf eine Gerichtsentscheidung, die den Baustopp bewirken könnte. Diese ist zunächst vertagt worden, da der zuständige Richter sich auf einer Pilgerfahrt befand, jetzt soll am 18.3. endgültig entschieden werden. Einer der Nachbarn, der Agraringenieur Ismail El-Halabi, träumt bereits von der Zukunft: „Wenn wir gewinnen, werden wir das bis dahin fertige Haus nutzen, um eine Ausstellung für Zimmerpflanzen mit einer Umweltbibliothek aufzubauen.“
Doch im Konflikt um Onkel Muhammeds Garten steckt noch mehr Brisanz. Diese ließe sich unter dem Titel „Islamisten fällen Bäume“ beschreiben. Um die Tragweite der Angelegenheit zu verstehen, muß man wissen, daß die islamistische Opposition in Ägypten mit ihrem Slogan „Islam ist die Lösung“ offiziell zum Hauptkontrahenten der Regierung geworden ist. Das hätte zunächst nicht viel mit Onkel Muhammeds Grün zu tun, würden die Geschicke des Ingenieursverbandes – des Diabolos der Geschichte also – nicht seit Jahren von einer islamistischen Mitgliedermehrheit gelenkt. Es mag schwer verständlich sein, daß deren Vorsitzender El-Kafrawi ein Vertreter der Regierung ist – für ägyptische Verhältnisse ist eine derartige Symbiose zwischen Regierung und dem islamistischen Gegner jedoch nichts Ungewöhnliches. El-Kafrawi behält sein einflußreiches Amt, und die Islamisten besitzen einen offiziellen Stempel.
Im Falle von Onkel Muhammeds Garten hat diese Ämterhäufung zur Folge, daß der Wohnungsbauminister in seiner Funktion als Vorsitzender des Ingenieursverbands acht allseits bekannte islamistische Anwälte beauftragt hat, den Gerichtsfall des Berufsverbandes gegen den Pächter zu übernehmen. So sägen Wohnungsbauminister und Islamisten die Bäume mit einer Säge um.
Die in Ägypten als durchaus uneigennützig bekannten Islamisten mit all ihren Antikorruptionskampagnen, die den meisten Ägyptern aus dem Herzen sprechen, handeln in diesem Falle nach einem wenig gemeinnützigen Motto: Lieber uns den Club als dem Viertel einen Park. Ist das Verhalten der Islamisten im Streit um den Garten etwa zukunftsweisend für ihre Politik, falls sie einmal an die Macht kommen sollten?
In diesen Tagen herrscht Trauer in Onkel Muhammeds kleinem Grün. In einem der Bäume hängt ein Radio, aus dem Koran-Zitate übertragen werden. Sadiq, der Pächter des Parks und Verwandte Onkel Muhammeds, ist gestorben. Zwar war er bereits 73, sagt der Gärtner mit traurigem Lächeln, aber der Gram um die Parkgeschichte hat sicherlich zu seinem Tod beigetragen. Mit einem Al- Baqi fi Hayatak – möge das, was von ihm geblieben ist, Teil deines Lebens werden – verabschieden sich die Gäste von Onkel Muhammed.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen