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Dick Macks Pub

Im kleinen irischen Dorf Dingle hat Dicks Wirtshaus Geschichte geschrieben  ■ Von Franz Schiffer

Dick Mack ist gestorben. „On Monday, ten past four“, sagt der unrasierte Roßhändler und steckt sich zum Gedenken eine Zigarette an. Seine regennassen Stiefel schimmern fast so schwarz wie das Bier vor ihm – Dick Mack verkaufte beides. Denn im malerischen Dingle (1.200 Einwohner, 52 Pubs) trinken Farmer, Fischer und Besucher gern ein Pint. Doch die Wirtsleute ernähren sie davon nicht. Nebenbei fährt mancher Gastronom Taxi oder bietet am Tresen Karotten und Cornflakes an. Gleich neben dem Zapfhahn liegen dann mitunter abenteuerliche Sortimente, die von Glühbirnen bis Rattengift reichen. Über den Zweittresen in Dick Macks Pub gingen vor allem Lederbänder und Gummistiefel, Gürtel, die er zurechtschnitt und lochte. Und das richtige Pflegeset, die richtige Creme dazu.

Der Ire hat in diesem kernigen Ambiente Pub-Historie geschrieben. Bis zum Ende seiner 87 Jahre blieb sein Wirts- und Warenhaus das, was auf den Britischen Inseln auch nicht mehr selbstverständlich ist: ein anheimelnder Ort für Redselige und Schweiger, eine rustikale Zuflucht, die mit wenigen Zutaten wärmt.

Schon die himmelblaue Hausfassade verrät absoluten Eigensinn. Dick Mack's steht da in großen weiß-roten Lettern. Daneben, kleiner, Haberdashery – Kurzwaren. Was zum Teufel Kurzwaren mit dem Angebot hinter der leuchtend roten Holztür zu tun hätten, wurde der publican mal gefragt. Seine knappe Antwort: „I want it that way.“ Ähnlich stur verfuhr er mit seinem Namen. Thomas MacDonnell hieß noch sein Vater, der die Kneipe 1901 aufmachte. Den Sohn riefen alle „Mac“ – also hing er zur Abrundung ein k an die Clan-Silbe und verschluckte den Rest für immer. Aus Richard war natürlich längst Dick geworden.

„His life was to talk“, sagt der Maler Jay Killian, ein Zugereister aus Boston. So wie er den Freund abgebildet hat, wirkt er knorrig, in sich ruhend. In einem snug, einer jener Durchreichen, hinter der Frauen ehedem unbeobachtet tranken und Bauern ihre heiratsfähigen Töchter verhökerten, hängt das letzte Porträt: kantiger Schädel, schlohweißes Haar, ein skeptisches Lächeln auf den fleischigen Lippen. Man ahnt nach dem Studium des Portraits, Dick Mack konnte nein sagen. Mochten andere Zunftbrüder – zunehmend in den sechziger Jahren – ihre lounges mit Polstergruppen ausstatten, die auch gesetzte Eheleute anlockten: Dick Mack hielt an seiner schlichten Zweiteilung fest. Rechterhand gehen sechs wandfüllende Regale bis unter die Decke, kunterbunt bestückt mit Spirituosen. Links die Theke, auf der noch die weiße Waage steht, mit der Tom MacDonnell Tee und Zucker portionierte. Dahinter hat sich ein mildes Chaos aus Riemen und Schuhkartons angesammelt. Freundlich belebt es die rotbraune Patina der Wandbretter und das Grau des Steinbodens, der einer Gepflogenheit irischer Mannsbilder entgegenkommt: Man kann getrost mal drauf spucken. Die Mode warmer Mahlzeiten („snacks served all day“) ist an dem unbequem behaglichen Raum spurlos vorbeigezogen. Hier wird allenfalls Kaffee oder Rum erhitzt. Weder Lautsprecher noch ein Fernsehapparat haben Dick Macks Schwelle je überquert. Erst recht blieb seine museale Trinkstätte eine karaoke- freie Zone. Drunten im Hafenviertel von Dingle lockt dieses Spektakel – Popmusik vom Band, Texte vom Videoschirm und sangeslustige Gäste, die ihren Stars nacheifern – nun in der dritten Wintersaison. Der Alte wird sich im Grab wälzen, ließ er doch nicht mal Fiedler und Akkordeonspieler allzu oft auftreten.

Ein richtiges irisches Pub vereint die Klassen: außer Roßhändlern und Milchwagenfahrern, Bauernknechten und Zementgießern waren schon alle Gebrüder Kennedy hier, wenn sie zu ihren irischen Wurzeln reisten. Charlie, Irlands schillernder Nachkriegs-Premier Charles Haughey, kam gern auf einen Drink herein, den künftig Dick Macks Jüngster spendieren wird. Und 1969, als an Dingles Küste „Ryan's Daughter“ gedreht wurde, kehrte mit treffsicherem Instinkt der Mime mit dem rauhen Pokerface ein: Robert Mitchum himself. Bob und Dick – die zwei müssen sich prächtig verstanden haben.

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