: Der Archäologe und der Maler
■ Jean-Luc Godard und Peter Greenaway auf dem Videofest
„Cogito ergo video“. Jean-Luc Godard spricht über die Geschichte des Kinos – und löst sie auf in überlappende Videobilder. Sehen lernen, aber in welchem Medium? Vom Foto zum Film, vom Kino zum Fernsehen, vom Zelluloid zum Video – die Diskussion, ob das elektronische Medium das Kino irgendwann endgültig in den Tod schicken wird, bleibt eine unendliche Geschichte. Godard will in seinen „Histoire(s) du Cinéma“ darüber gar nicht erst urteilen. Er sucht die Schnittstelle zwischen Film und Video nicht im Entweder-Oder – im Nebeneinander besteht die Chance einer Zukunft. Schon seit einigen Jahren beobachtet das Videofest in Berlin die faszinierenden Möglichkeiten eines jungen Mediums, ohne die Abgrenzung zur Filmindustrie zu postulieren. Godards „Cogito ergo video“ heißt hier nur „Ich denke, also sehe ich“. Auf welchem technischen Träger der Künstler es tut, ist eine Frage der ästhetischen Vorstellung. Nur wird Video zusehends interessanter, weil es billiger und einfacher zu handhaben ist. Kein Wunder also, daß viele Filmemacher die Vorzüge der Videotechnik inzwischen für sich entdeckt haben.
Kino und Video stehen sich auch in anderer Hinsicht sehr nahe. Aufwendige Produktionen lassen sich häufig nur noch realisieren, wenn das Fernsehen beteiligt ist. Auch Jean-Luc Godards Video „Histoire(s) du Cinéma“ wäre ohne die Gelder von ORF und Canal + nicht möglich gewesen. Erinnerungsarbeit für das Kino in dem Medium, das die beste Form bietet, darüber zu reflektieren. Godard bringt sein Gesicht mit den Stars in Deckung, kopiert im Videotrick Filmszenen zu hektischen Sequenzen zusammen. Ein Film ist A Girl and a Gun plus Godard – also die permanente Überforderung. Von den Mythen des Kinos der Massen ist die Rede und von den Meistern des Fachs, die sich außerstande sahen, den Haß der Weltkriege zu stoppen, den sie doch tausend Mal in Szene gesetzt hatten. Die Realität ist anders. Im Krieg heißt die Fiktion dann Propaganda. Krieg im Kino, das Kino des Krieges. Godards Erinnerungsarbeit ist noch unvollständig. Geplant ist eine dreistündige „Histoire(s) du Cinéma“ – das Videofest zeigte einen Zustandsbericht.
Bildzeilensprung. Auch Peter Greenaway gehört schon längst zu den Verehrern der Technik. Auf dem Videofest ist er gleich mit zwei Produktionen vertreten, die sich der zahlreichen kreativen Möglichkeiten elektronischer Bildmanipulation bedienen. „Not Mozart“ ist Greenaways ganz persönliche Schöpfungsgeschichte: „M is for Man. M is for Movement. M is for Music. M is for Mozart.“ Ein Ulk. Ausgehend vom Buchstaben M, dem Mittelpunkt des Alphabets, entwirft Greenaway in gewohnt strengem Bildaufbau auf mehreren simultanen Bildebenen ein seltsames Pandämonium der Menschwerdung. Nicht ohne Augenzwinkern auf seine ihm eigene enzyklopädische Manie entwirft er eine experimentelle Collage, die aus dem Fernseher endlich einen Zeichenblock werden läßt. Der Maler Greenaway hat seine Leinwand gefunden. Den Monitor.
Greenaway zum Zweiten. Ein Porträt des Münsteraner Videomachers Thomas W.Klinger über den britischen Maler und Regisseur. Eine Videoarbeit, die von zuviel Respekt gegenüber dem britischen Regisseur zeugt. Thomas W.Klinger entwickelt keine eigenen Ansätze, er übernimmt nur die mathematische Genauigkeit seines Vorbildes. Eine Aufzählung der Filme, fein säuberlich aufgelistet in einer elektronische Filmographie. Nichts als Erbsenzählerei, gemischt mit einigen harmlosen Interviews. Auch Greenaway verirrt sich hier im Labyrinth seiner Vorlieben. Er kommentiert die lange Kamerafahrt aus „Prosperos Books“ und erläutert, welche Figuren aus Mythologie und Geschichte dort zu sehen waren. „A Walk Trough Prospero's Library“ – ein Bilderspaziergang des Beamten Peter Greenaway. B wie bürokratisch, B wie buchhalterisch, B wie belanglos. Manchmal kann Video eben auch weniger bedeuten als „Ich sehe“.
Christof Boy
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