: Überzeugungsarbeit
■ Brüllend komisch und sehr, sehr fremd: Tekehiro Nakajimas „Okoge“
Sie ist eine, die am liebsten mit Männern zusammen ist, die Männer mögen. Ihre Wohnung stellt sie deshalb gern einem Freund zum Schäferstündchen zur Verfügung. Sein Liebhaber ist allerdings verheiratet. Die Ehefrau kommt hinter die Geschehnisse im Liebesnest und erzwingt durch Veröffentlichsdrohung das Ende der Beziehung. Die Mutter des anderen stirbt derweil langsam an der Erkenntnis, einen schwulen Sohn zu haben – nach einem gescheiterten Versuch, seine Freundin zur Scheinehe zu überreden. Die will ihrem verlassenen Kumpan eine neue Partie zuschanzen. Der Auserwählte ist aber leider homophob, vergewaltigt und schwängert sie. Sie heiraten, die Ehe mit dem Saufbold geht schief...
Nein, das ist kein neuer Plot des Kolportage-Weltmeisters Pedro Alomodovar. Die verwinkelte Geschichte ist ernst gemeint. Trotzdem hat das Lächeln in „Okoge“ durchaus seinen Platz; wo genau es beabsichtigt ist, kann man mit europäischen Augen schwer sehen. Diese schwebende Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Lächerlichkeit, zwischen Gefühlsschwere und hingetupftem Leichtgewicht ist nicht in Kategorien zu pressen. Da diskutiert eine Teerunde bekennender Schwuler die Gründe von Homosexualität. Man weiß nicht, ob Farce oder Tragödie, angesichts der Statements von der Schuld der Gene bis zur Schuld der starken Mutterbindung. Die Szene erinnert an die WG-Diskussionsrunde in Praunheims „Nicht der Homosexuelle...“ und ist doch ganz anders. Dann bricht die Mutter hysterisch in den peinigenden Kaffeeklatsch und beklagt schreiend die Unumkehrbarkeit der Dinge. Das ist dann plötzlich ganz lächerlich. Die Komödie kommt immer dann, wenn man sie nicht vermutet.
Takehiro Nakajimas zweiter Film ist eine Bestandsaufnahme. Er handelt von den Nischen einer Gesellschaft, die Schwulsein immer noch ignoriert. Indem er nicht vordergründig die Leiden der Unterdrückung zeigt, sondern seine Protagonisten Wege aus den verborgenen Löchern suchen läßt, hat er einen emanzipatorischen Ansatz. Trotzdem ist es kein Aufruf zum Kampf im europäischen Sinn, eher Überzeugungsarbeit durch offene Darstellung von Gefühls- und Lebensmöglichkeiten. Das ist brüllend komisch, bewegend und sehr, sehr fremd. Gerd Hartmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen