: Die Banalität des Gutgemeinten
■ Bewältigungskino nach Vorschrift: „Die Denunziantin“ von Thomas Mitscherlich
Dreimal wird sie gezeigt, die Eingangssequenz, in der die kleine Buchhalterin Helene Schwärzel dem älteren Herrn begegnet; eine patriarchalische Idylle, die so explizit ihre Komposition hervorkehrt — die Sonntagsstimmung, den Herrenhut, der zum Gruß sich lüftet, die Freude des Erkennens auf dem Gesicht der Frau —, daß man gleich weiß: Hier kommt keiner raus, ohne gelernt zu haben.
Erst einmal aber gibt es eine Menge Anschauungsmaterial. Kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs sitzt die Schwärzel (Katharina Thalbach) in einer fremden Wohnung. Es hat ihr nichts genützt, daß sie Carl Goerdeler, einen der Männer des 20. Juli, wiedererkannt und denunziert hat. Auch die Leute, die sie aufgenommen haben, um an die Belohnung heranzukommen, haben sich verkalkuliert: Kurz krampfen sich die Hände um die Kaffeetasse, als die Meldung vom Tod des Führers aus dem Volksempfänger kommt, danach werden die Hitleriana ohne große Emotion im Ofen verbrannt.
Aha, sagt man sich, da ist Verdrängung am Werk, eine saubere Stunde Null wird das niemals geben. Und tatsächlich, die Mitläufer laufen jetzt einfach andersrum. Helene Schwärzel wird selbst denunziert und gerät in die Mühlen einer Justiz, die an einem Schauprozeß interessiert ist. „Denunziation ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält“, sagt ein Davongekommener in die Kamera, und der französische Besatzungsoffizier weiß, daß „Volksempfinden“ ein allzudeutsches Wort ist. Wir verstehen auch, warum: Um Demokratiefähigkeit unter Beweis zu stellen und von den dunkelsten Flecken abzulenken, muß der Volkskörper sich durch Abstrafung seines schwächsten Glieds reinigen.
Zwischenetappe erreicht, im folgenden erhellt Regisseur Thomas Mitscherlich per Rückblende die Psychologie des Verrats. In einer Provinzgaststätte findet das zweite, das eigentliche Wiedererkennen statt: Uniformierte beim Kaffee, braungetäfelte Wände und eine arme Helene, die eigentlich nur damit prahlen will, daß sie den Herrn Goerdeler kennt. Erst das Gelächter der Kollegen treibt sie zu der Tat ihres Lebens: Da sitzt er, der Mann! Für ein paar Minuten müssen die Uniform-Machos, die lieber in Ruhe gefrühstückt hätten, sich aufs Fahrrad schwingen und den Auftrag ausführen, den die kleine Schreibkraft ihnen durch ihre Denunziation erteilt hat.
Ein billiger Lohn, das weiß auch Mitscherlich. Um die Sympathien für das Täter-Opfer nicht allzu groß werden zu lassen, beeilt er sich, seine Detailsicht der Banalität des Bösen ans große Ganze rückzubinden: Bereits in der Logik des Aufbegehrens ist Helene Schwärzel Spielmasse eines Geschehens, das sie nicht durchschaut. Aus dem Rohstoff des Lebens wird ein Stück Propaganda hergestellt, das noch den als Akt des Widerstands verstandenen Verrat für seine eigenen Zwecke einspannt.
Brav gedacht ist das: Der Faschismus hat den Massen zu ihrem Ausdruck verholfen, aber nicht zu ihrem Recht — ein Klassiker. Dumm nur, daß der Film in eine Situation hineinplatzt, in der sich das Täter-Opfer-Problem auf ganz andere Weise stellt. Dumm auch, daß Mitscherlich keine Sekunde auf die Idee gekommen zu sein scheint, wie sehr er mit seiner „Denunziantin“ selbst ein Genre bedient. Der deutsche Wettbewerbsbeitrag ist Bewältigungskino nach Vorschrift. Das Opus will „episch“ sein im Brechtschen Sinne, zeigt aber bloß Abziehbilder: amtsstubengraue Amtsstuben, blaßgrüne Behördenflure, augenringartige Augenringe (Thalbach!), viel bleierne Zeit und noch mehr pädagogische Ideen.
Die Deutschen sind feige, das ist wahr, aber noch feiger sind ihre Regisseure. Die eigentliche Lehre aus einem Film wie „Die Denunziantin“: Die Banalität des Gutgemeinten ist in Deutschland ungebrochen. Thomas Groß
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