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Athen läßt die Muskeln spielen

In Griechenland löst die Mazedonienfrage Panik aus/ Der konservative Premier Mitsotakis bangt um seine Regierung/ EG-Partner befürchten eine Ausweitung der Balkankrise/ UNO diskutiert Anerkennung  ■ Aus Athen Takis Gallis

Die Kandidatin mit der Nummer 11 war nicht nur langbeinig und hübsch, sie gab auch markige Sprüche zum besten. „Ich hoffe, daß mein Land den Kampf um Mazedonien gewinnen wird. Ich liebe ja meine Heimat.“ Wenig später war sie, unter dem tosenden Beifall der Zuschauer, zur „Miss Hellas 92“ gekürt worden. Die Juroren des privaten TV-Senders ANT1, der Ende Oktober vorigen Jahres die Suche nach der schönsten Frau Griechenlands organisierte, wollten nicht nur Aussehen, sondern auch Gesinnung prämieren. Es sind nicht nur die Schönen, die vom Zauberwort Mazedonien profitieren. „Das Wort ist längst von einer patriotischen zu einer kommerziellen Waffe geworden“, bemerkte das linksliberale Blatt Eleftorotypia. Lebensmittel oder Kleidungsstücke, die mit dem Adjektiv „mazedonisch“ versehen sind, werden zu Kassenschlagern. „Seit meine Lieblingssalami nun auch „mazedonisch“ heißt, schmeckt sie mir besser“, kicherte eine Passantin bei einer Straßenumfrage vor laufender Fernsehkamera.

Die „mazedonische Frage“ ist freilich weit mehr als nur kulinarischer Art. In erster Linie geht es um die Nutzungsrechte des Wortes „Mazedonien“ auch außerhalb Griechenlands. Umfaßt doch Mazedonien als geographischer Begriff ein Gebiet, das heute auf drei Länder aufgeteilt ist: Griechenland, Bulgarien und eben „Mazedonien“, die neugegründete Republik, die aus dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen ist. Die Griechen wollen allerdings den Namen monopolisieren, weil sie sich als die legitimen Erben jener Mazedonier wähnen, deren legendärster Vertreter Alexander der Große ist. Die Übernahme dieses Namens durch die Südslawen gilt nicht nur als Sakrileg, sondern auch als Bedrohung für den griechischen Teil. Vergeblich versucht Athen seit zwei Jahren dem neuen Staat den namen „Republik von Skopien“ aufzuzwingen. Bis auf den Paten benutzte bisher niemand diesen Namen.

UNO diskutiert über die Anerkennung Mazedoniens

Löst diese Frage bei einfachenBürgern eher skurrile Reaktionen aus, geht es bei den Politikern um Kopf und Kragen. „Ich lasse mich nicht nach Goudi bringen“, soll Ende vorige Woche Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis gesagt haben. Goudi ist ein Vorort Athens, in dem 1908 mehrere hohe Politiker und Generäle wegen Hochverrats nach kurzem Prozeß erschossen wurden. So metaphorisch dies auch gemeint sein mag: es ist bezeichnend für die dicke Luft, die zur Zeit Athen einhüllt. Nach einer ungeheuren Kraftanstrengung, welche die Nichtanerkennung der ehemaligen jugoslawischen Republik zum Ziel hatte, sieht sich der konservative Premier am Ende seiner Kräfte. Die Anerkennung des Nachbarstaats von der UNO scheint nun eine Frage von Tagen zu sein. Von den EG- Partnern verlassen und sogar in seiner Partei zunehmend isoliert, muß er zur Zeit sein ganzes Geschick auf die Rettung seiner Position als Regierungschef konzentrieren.

Die Köpfe rollen aber bereits in Athen. Das erste Opfer ist die Redaktion der Zeitschrift Omikron, die von der Jugendorganisation OENED der Regierungspartei Nea Demokratia (ND) herausgegeben wird. Am vergangenen Mittwoch wurde die Redaktion mit Schimpf und Schande aus der Organisation verjagt. Der Stein des Anstoßes ist ein Artikel, in dem der Journalist Takis Michas zunächst Alexander den Großen als „Schlächter der Völker“ tituliert und dann die großen Anti- „Skopien“-Kundgebungen Ende letzten Jahres in Athen und Saloniki mit jenen der Nazis Anfang der dreißiger Jahre in Deutschland vergleicht. Viele Abgeordnete der Nea Demokratia fordern sogar die gerichtliche Verfolgung von Michas wegen „Volksverhetzung“. Die Pikanterie dabei ist, daß Michas Mitglied des liberalen „Forum“ ist, einer Gruppe, die dem heutigen Informationsminister Andreas Adranopulos nahesteht, aber auch mit der Kulturministerin und Tochter von Mitsotakis, Dora Bakojani, befreundet ist. Ein gefundenes Fressen für die Massenmedien, welche diese Verbindung gestern ganz groß herausstellten.

„Athen stehen die kritischsten zehn Tage des Jahres bevor“, sagte am Donnerstag der Kommentator der privaten Radiostation Sky. Das Startsignal wird täglich erwartet – mit der Ankunft des offiziellen Briefes des UNO-Sicherheitsrats in Athen, der den Plan für die stufenweise Anerkennung Mazedoniens enthalten wird. Inoffiziell allerdings ist der Plan, der als Kompromißvorschlag von Großbritannien, Spanien und Frankreich eingebracht wurde, bereits bekannt. Die erste Stufe sieht die Aufnahme des Kleinstaates in die UNO unter dem Namen „Frühere jugoslawische Republik Mazedonien“ vor. Danach wird sich eine Schiedsrichterkommission mit der endgültigen Benennung des neuen Staates befassen. Ihr Schiedsspruch soll dann für beide Parteien verbindlich sein.

Kiro Gligorow, der mazedonische Präsident, stellt sich zur Zeit gegen diesen Vorschlag, weil er keine wesentlichen Zugeständnisse in der Frage des Namens machen möchte. Schützenhilfe bekommt er dabei von der US-amerikanischen und der russischen Delegation, welche den Namen „Frühere jugoslawische Republik Mazedonien“ durchdrücken möchten. Ein ziemlich riskanter Schachzug von Gligorow, wenn man bedenkt, daß dadurch die europäischen Mitglieder des Sicherheitsrates brüskiert werden. Mittwoch abend erkärte der marokkanische Vorsitzende des Sicherheitsrats, Ahmed Snuci, daß der russisch-amerikanische Vorschlag nicht die erforderliche Anzahl von neun Ratsmitgliedern erhalten würde, was zu einer gewissen Verzögerung der Aufnahme führen könnte.

Die Regierung in Athen hat freilich den „europäischen“ Vorschlag gleich angenommen. Und gibt vor, nun in der besseren Position zu sein. Außenminister Michalis Papakonstantinou kündigte eine „harte“ diplomatische Offensive an, um die „kompromißlosen“ Südslawen als die eigentlichen Unruhestifter der Region hinzustellen. Griechenland behalte sich jedes „geeignete“ Mittel vor, um die „historischen und anderen nationalen Rechte Griechenlands“ zu verteidigen. Ungewöhnlich dunkle Andeutungen, welche in seltsamem Gegensatz zur diplomatischen Isolation des Landes stehen.

Größte politische Schlappe seit Jahrzehnten

Die Regierung in Athen läßt die Muskeln spielen – und trotzdem: Dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Griechenland im Falle Mazedoniens seine größte politische Schlappe seit Jahrzehnten einstecken mußte.

Das Böse nahm bereits vor zwei Jahren seinen Lauf, als von den EG-Außenministern die sogenannte „Badinter-Kommission“ eingesetzt wurde. Die mit europäischen Verfassungsrichtern besetzte Kommission, die Kriterien für die Beurteilung der Nachfolgestaaten von Ex-Jugoslawien ausarbeitete, gab bald grünes Licht für die Anerkennung Mazedoniens. Wenig später jedoch, bei einer Sitzung Mitte Dezember 91 in Brüssel, konnte der damalige griechische Außenminister Antonis Samaras seine Kollegen umstimmen. Die Anerkennung wurde an drei Bedingungen geknüpft: Erstens müßten jene Artikel aus der mazedonischen Verfassung gestrichen werden, mit denen der „Kernstaat“ die Verantwortung für das Schicksal der Auslandsmazedonier übernimmt: Artikel, die, laut Athen, Gebietsansprüche auf Kosten von Griechenland und Bulgarien begründen könnten. Zweitens sollte die „feindliche Propaganda“ gegen die umliegenden Staaten eingestellt werden. Und drittens sollte die Benennung des neuen Staates nicht gegen die historischen und nationalen Besonderheiten der Nachbarländer verstoßen. Mag diese Formulierung auch nicht exakt nach griechischem Geschmack gewesen sein, sie gab aber doch einen deutlichen Hinweis gegen die Verwendung des Namens Mazedonien.

Später, beim Lissabonner EG- Gipfel im Juni 92, wurde die Verwendung des Staatsnamens „Mazedonien“ expressis verbis „verboten“. Mitsotakis, der inzwischen Außenminister Samanas ausgebootet und selbst dessen Amt übernommen hatte, konnte bei seiner Rückkehr in Athen von einem „nationalen Triumph“ sprechen.

Ein kurzer Triumph. Der griechische Premier hatte vergessen zu erwähnen, daß die Unterstützung der EG-Partner nur als Überbrückungshilfe gemeint war. Ihrer Ansicht nach mußte Athen in direktem Kontakt mit Skopien die offenen Fragen spätestens in einigen Monaten bereinigt haben. Jede weitere Verzögerung würde nur die Region destabilisieren und die Gefahr einer Ausdehnung des Kriegs von Bosnien-Herzegowina auf Kosovo und Mazedonien erhöhen. Die Regierung in Athen wurde wiederholt von einzelnen EG-Mitgliedern gewarnt, daß ihre Geduld am Ende sei. Daß sie schließlich doch nicht zu einer einseitigen Anerkennung Mazedonens geschritten sind, liegt wahrscheinlich weniger in der vielzitierten Solidarität der Gemeinschaft als in der Angst, daß diese Maßnahme den Sturz Mitsotakis herbeiführen und somit Griechenland selbst in einen offenen Krisenherd verwandeln würde.

In latenter Form gibt es diese Krise freilich schon seit mehreren Monaten. Ihre Ursache liegt in der selbstauferlegten Verpflichtung aller Parteien, keinen Schritt vom „Abkommen von Lissabon“ abzurücken. Diese Haltung ist auch vom „Rat der politischen Führer“ abgesegnet worden, einem informellen Gremium, an dem, unter dem Vorsitz des Staatspräsidenten Konstantinos Karamanlis, Premierminister Mitsotakis, Sozialistenchef Andreas Papandreou, die Vorsitzende des linksreformistischen Synaspismos Maria Damanaki und die KP-Chefin Aleka Papariga teilnehmen. Im gemeinsamen Beschluß (nur die KP lehnte ihn ab) wird nicht nur der Name Mazedonien, sondern auch jede adjektivische Ableitung, etwa „mazedonisch“, abgelehnt.

80 Prozent der Griechen für „harte Linie“

Mitsotakis ist in der Vergangenheit sicher oft in Versuchung gekommen, diese Haltung aufzugeben. Was ihn dennoch immer davon abhielt, war weniger das Geschrei der Sozialisten, die einen extrem nationalistischen Kurs verfolgen, als die innerparteiliche Opposition. Ex- Außenminister Samaras, ebenfalls ein harter Nationaler, wettert mit Erfolg gegen jeglichen Kompromiß. Nach einer jüngsten Meinungsumfrage wird die harte Linie gegen die „Skopianer“ von 80 Prozent der Griechen geteilt, und in der Partei selbst liegt Samaras, gemeinsam mit Ex-Staatsminister Evert, weit vor Mitsotakis in der Gunst des Publikums.

Solange Mazedoniens Präsident Gligoro sein Heil in den Absprachen mit der EG suchte, war er am griechischen Widerstand gescheitert. Schließlich, genervt von den „Querulanten von Athen“, so ein hoher dänischer Diplomat, gaben ihm mehrere EG-Mächtige den Tip, sein Glück bei der UNO zu versuchen. Dort, gaben sie zu verstehen, würden sie sich von der Gemeinschaftssolidarität entbunden fühlen. Die Rechnung ging auf: Das Procedere für die Aufnahme ist bereits eröffnet worden, wenngleich – durch die Diskussion des Vorschlags über die Schiedsrichterkommission – der Sicherheitsrat noch zu keiner endgültigen Beschlußfassung gekommen ist.

Der bloße Ortswechsel von Brüssel nach New York allerdings zwang Athen zu einer radikalen Umstellung. Heute geht es nur noch darum, einen voreiligen Triumph des ungeliebten Nachbarn zu vereiteln, und das wäre seine Anerkennung unter der einfachen Bezeichnung „Mazedonien“. „Unter den gegenwärtigen Umständen wäre uns jeder andere umschreibende Name recht“, gab ein Mitglied der griechischen UNO-Delegation zu. Dem Zusammenbruch der außenpolitischen Linie folgt nun die Krise in der Nea Demokratia. Bis Donnerstag hatten schon 35 Abgeordnete die Forderung nach Einberufung der Parlamentsfraktion unterschrieben, damit endlich „über das drohende Desaster“ diskutiert werden kann.

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