: „Ich verstehe nichts von Jugoslawien“
Die Friedensbewegung diskutiert über den Krieg in Jugoslawien und die Zukunft des Pazifismus/ Creme der bundesdeutschen Friedensforschung empfiehlt Prinzipientreue ■ Aus Berlin Matthias Geis
Friedensengagement ist ein zartes Pflänzchen. Es gedeiht nur, weiß Hanne Birkenbach, Friedensforscherin aus Kiel, „wenn es auch Spaß macht, wenn es ein bißchen verrückt ist“. Irgendwie ist der Spaß abhanden gekommen. Die Hochzeiten der Bewegung, als sich Hunderttausende „Menschen mit Gestaltungsbedürfnis“ zusammenfanden, um in den behüteten Nischen, die die drohende atomare Apokalypse gewährte, „selbstbestimmten Aktionen“ nachzugehen, ist vorbei. Die Apokalypse, der abstrakte Schweinehund, ist erst mal passé. Doch verglichen mit 83, ist Europa nicht friedlicher geworden.
Am Wochenende nahm sich die Friedensbewegung, 200 Aktivisten aus Ost und West sowie die Creme der bundesdeutschen Friedensforschung, auf Einladung der Bundestagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen ihres Themas an: der Konflikt in Jugoslawien, die weltpolitischen Veränderungen seit 89 und die Konsequenzen für die Friedenspolitik standen im Berliner Reichstag auf der Tagesordnung. Provokativ genug, hatten die Veranstalter die Parole von einst – „Frieden schaffen ohne Waffen“ – mit einem Fragezeichen verunsichert und einem Großteil der Anwesenden damit schon fast den Spaß verdorben.
Das hatte Methode. Gleich in seinem Einleitungsreferat plädierte der Bundestagsabgeordnete Gerd Poppe für ein außen- und sicherheitspolitisches „Konzept der Einmischung“. Zu lange habe der Westen die Unterdrückung in Osteuropa „als Stabilität verkannt“, und die westliche Friedensbewegung habe diejenigen als „objektiv friedensgefährdend“ eingestuft, die eine „Trennung von innerem und äußerem Frieden“ nicht mittragen wollten. Heute, so Poppes „Lehre aus 89“, müßten die Menschenrechte zur Grundlage einer neuen außenpolitischen Konzeption werden. In letzter Konsequenz bedeute dies, daß auch militärische Mittel zur Beendigung gravierender Menschenrechtsverletzungen nicht prinzipiell ausgeschlossen werden könnten. Als Poppe dann konkrete Schritte zur Diskussion stellt – militärische Absicherung von Hilfskonvois, Durchsetzung des Embargos, eine, gewaltlos schwer vorstellbare, Befreiung der Lager –, droht die Stimmung im Saal erstmals zu kippen: „Der überzieht doch die Redezeit.“
Dem Versuch, die „Entsendung von Blauhelmen als Erneuerung der deutschen Politik zu verkaufen“, widersprach im Anschluß an Poppe der Berliner Friedensforscher Theodor Ebert. Leicht indigniert darüber, daß „das Bündnis 90 uns jetzt erneuert“, ruft er noch einmal die Chancen gewaltfreien Handelns in Erinnerung. Gefragt sei jetzt die „gründliche Ausbildung in gewaltfreier Konfliktaustragung“. Ebert, der zwischenzeitlich den Bosniern die Kapitulation vor dem serbischen Machtanspruch empfielt, muß „die momentane Ohnmacht der Friedensbewegung eingestehen“. Doch an Durchhaltewillen fehlt es nicht: „Man darf sich die langfristigen Perspektiven nicht verbauen, weil man jetzt mit demn Wölfen heulen will.“ Andreas Buro empfiehlt die „grenzüberschreitende Konfliktbearbeitung von unten“. Nein, vollmundig ist das nicht gesagt: „Alle Ansätze sind selbstverständlich verbesserungswürdig.“
Als „gnadenlosen Pazifismus“, wird später eine Teilnehmerin die Einlassungen der prinzipientreuen Friedensbewegten und Friedensforscher charakterisieren. „Zynisch“, nennt die Bundestagsabgeordnete Vera Wollenberger die Empfehlung an die Betroffenen, sich „angesichts des Völkermordes gewaltfreien Miteln zuzuwenden“. Doch diejenigen, die sich, wie Ralf Eilers, im Interesse der Opfer dazu durchgerungen haben, „das zentrale grüne Prinzip der Gewaltfreiheit zu verlassen“, bleiben in der Minderheit. Dabei sind auch im Reichstag die Grade der Verunsicherung erkennbar. Außer denen, die den begrenzten Einsatz militärischer Mittel zur Durchsetzung humanitärer Ziele befürworten, und den anderen, die mit „verkappten Militaristen“ nicht länger reden wollen, gibt es viele, die angesichts der jugoslawischen Greuel das hehre Prinzip vorsichtig in Frage zu stellen beginnen.
Doch über den möglichen Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung konkreter Ziele wird kaum debattiert. Statt dessen wird jede weitere Erörterung in antimilitaristischen und antiimperialistischen Erwägungen erstickt. Andreas Buro beschwört die „BRD als künftige Hegemonialmacht EG-Europas“, Ekkehart Krippendorf warnt vor ihrer weltweiten Interventionsfähigkeit.
Krippendorf ist es auch, der die Ignoranz der Friedensprofessoren am geradlinigsten zu artikulieren wagt: „Wir haben das Privileg, prinzipielle Politik hochzuhalten“, weiß der Professor, der auch nicht ansteht, sich zu seinen Lücken zu bekennen: „Von Jugoslawien verstehe ich nichts.“ – „Wir diskutieren über Fragen, die wir nicht beantworten können“, klagt Ebert. – Die „Segnung von militärischen Konzepten“, jedenfalls, könne, so Professor Uli Albrecht, von der Friedensforschung nicht erwartet werden. Lediglich die Analyse, „welche Funktionen die offene Wunde Jugoslawien“ für die innenpolitische Debatte erfüllt, könne er liefern.
„Die Wissenschaft sitzt im Turm“, faßt der Grünen-Politiker Lukas Beckmann das professorale Engagement zusammen: „Die Friedensforschung weigert sich, Politikberatung zu machen.“ Doch die Position, „das muß sich ausbluten“, sei menschlich und moralisch nicht auszuhalten. Andere lassen sich nicht irritieren: Beklagt wird die „Begriffsverwirrung“, die als friedenserhaltende Maßnahme verkaufe, „was am Ende Massenmord beinhaltet“.
Da muß sich wohl auch das Bündnis 90 angesprochen fühlen, das im Bundestag einen Antrag zur Bundeswehrbeteiligung an Blauhelmeinsätzen und für ein Un- Kontingent eingebracht hat. „Legitimation der Bundeswehr“, lautet im Reichstag der allfällige Vorwurf an die einstigen Bürgerrechtler. „Wollt ihr euch“, fragt ein Teilnehmer, „für einen Job im Presseamt des Bundeskanzlers bewerben?“ Die „Methode mißverstehender Unterstellung“, die Moderator Erhard Müller gleich zu Anfang aus der Debatte verbannt sehen wollte, findet auch weiterhin ihre Anwender. Doch die Bündnis-Politikerin Petra Morawe läßt sich auch angesichts der Polarisierung nicht aus der Fassung bringen: „Das war doch klar, daß hier 'ne Bombe hochgeht – bei so viel Gewaltlosigkeit“, meint die Organisatorin des Reichstags-Forums. Jetzt gäbe es eben – „statt Tritte ans Schienbein“ – wenigstens offene Vorwürfe.
Auch Bärbel Bohley und die Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe distanzieren sich deutlich von den Vorschlägen ihrer Freunde vom Bündnis 90. Der Konflikt um eine zukünftige Friedenspolitik verläuft nicht einfach entlang der alten Ost-West-Scheidelinie. Dennoch ist immer wieder spürbar, daß sich die West-Friedensbewegung vom Erneuerungsdrängen der Bürgerrechtler herausgefordert fühlt. Die Friedensbewegung, mahnt Andreas Buro vor allzugroßen Erwartungen, sei eben wie alle sozialen Bewegungen – und „anders als wendige Intellektuelle“ – einem „Tanker“ vergleichbar. Kursänderungen sind schwierig. „Ein merkwürdiges Bild zur Zeit der großen Tankerunglücke“, findet Vera Wollenberger.
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