piwik no script img

Auch wenn im UNO-Sicherheitsrat demnächst über die Funk- tionsweise eines Tribunals zur Ahndung von Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien Konsens hergestellt wird, dürfte kaum ein Beschuldigter freiwillig erscheinen. Von Andreas Zumach

Ein Tribunal ohne Angeklagte

Noch bis zum letzten Donnerstag war offen, ob eine Entscheidung des UNO-Sicherheitsrats in der Frage der Einrichtung eines Tribunals zur Untersuchung von Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien überhaupt zustande kommt. Denn neben Brasilien stellte China, eines der fünf ständigen, mit Vetorecht ausgestatteten Mitglieder, das Recht dieses UNO-Gremiums zur Einrichtung eines Tribunals grundsätzlich in Frage. Peking fürchtet den Präzedenzfall, der zu Forderungen nach Einrichtung von Tribunalen über Kriegs-und Menschenrechtsverbrechen auch in anderen Ländern führen könnte. Tatsächlich gibt es in der Geschichte der UNO wie auch der ihres Vorgängers, dem Völkerbund, kein Vorbild für das jetzt beschlossene Tribunal. Der in den letzten Monaten häufig gezogene Vergleich zu den Nürnberger Prozessen über die Nazi-Verbrechen trifft in kaum einem Punkt zu. Am Ende des Zweiten Weltkriegs gab es Sieger und Besiegte, Deutschland hatte kapituliert und war besetzt. Und auch der Zugriff auf die Angeklagten war damals sehr viel einfacher, als das im Falle künftiger Beschuldigter aus Ex-Jugoslawien der Fall sein dürfte. Seine Zustimmung signalisierte China bei einem Treffen der fünf ständigen Mitglieder am Donnerstag abend in der New Yorker UNO-Botschaft Frankreichs erst, als die ursprünglich von Paris erarbeitete sehr detaillierte Beschlußvorlage verwässert worden war. Der gestern verabschiedete Text läßt fast alle wichtigen Fragen offen. UNO-Generalsekretär Butros Ghali wurde aufgefordert, dem Sicherheitsrat „möglichst innerhalb von 60 Tagen“ konkrete Vorschläge für die Zusammensetzung und Funktionsweise des Tribunals vorzulegen.

Die ursprünglich von Paris eingebrachte Beschlußvorlage basierte auf Vorschlägen, die eine Gruppe von französischen Völkerrechtsexperten – unter ihnen der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Pierre Truche – erarbeitet hatte. Danach soll das Tribunal aus 15 von bereits bestehenden Internationalen Gerichten (Straßburg, Den Haag u.a.) abgesandten RichterInnen zusammengesetzt werden. Ähnliche Vorschläge hat auch eine Gruppe italienischer Juristen unterbreitet. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) schlug letzte Woche einen Ad-hoc-Gerichtshof mit einem unabhängigen Staatsanwalt sowie einer Berufungsinstanz vor.

All diese Vorschläge gehen davon aus, daß über die Verbrechen (Massen-)Vergewaltigung, Folter, Vertreibungen („ethnische Säuberungen“) sowie (Massen-)Erschießungen tatsächlich verhandelt werden kann, auch wenn diese bislang zum Teil in den Genfer Konventionen und anderen internationalen Verträgen nicht konkret als ahndungswürdige Verbrechen aufgeführt werden – wie etwa im Falle von Massenvergewaltigung. Im Genfer Menschenrechtszentrum der UNO geben sich die Experten jedoch optimistisch, daß sich alle bislang aus Ex-Jugoslawien bekanntgewordenen Kriegs- und Menschenrechtsverstöße unter den Bestimmungen dieser Konventionen und Verträge „subsumieren“ lassen. Doch ist damit zu rechnen, daß – sollte es tatsächlich eines Tages zu Prozessen kommen – die Verteidiger der Angeklagten diese Rechtsgrundlage für das Verfahren gegen ihre Mandanten in Frage stellen dürften.

Wer soll das Recht haben, vor dem Tribunal anzuklagen?

Noch völlig offen ist bislang, wer das Recht haben soll, Beschuldigungen vorzubringen und Personen anzuzeigen. Nur Völkerrechtssubjekte, also Regierungen? Oder auch Einzelpersonen und damit auch Opfer von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen bzw. ihre hinterbliebenen Angehörigen? Schon jetzt wurde von verschiedener Seite eine Reihe von Namen genannt. Der frühere US-Außenminister Lawrence Eagleburger setzte im Dezember den serbischen Präsidenten Milošević, den Chef der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei, Vojislav Šešelj, den Befehlshaber der serbischen Streitkräfte in Bosnien- Herzegowina, Ratko Mladic, sowie den dortigen Serbenführer Radovan Karadžić auf eine offizielle „Kriegsverbrecherliste“. Nach Auffassung von Karadžić selber, der „die EG und vor allem Deutschland“ für die „Hauptschuldigen am Krieg“ in Ex-Jugoslawien hält, sollten „an erster Stelle Ex-Bundesaußenminister Genscher und sein österreichischer Kollege Mock vor ein Kriegsverbrechertribunal geladen werden“. Der KSZE-Vorschlag sieht zumindest die Teilnahme von Opfern an den Prozessen vor und ihr Recht, auf Rückgabe beschlagnahmten Besitzes oder – im Fall von Zerstörungen – auf Entschädigungsleistungen zu klagen.

Der französische Vorschlag sieht ausdrücklich die Vorladung und Aburteilung von unmittelbaren Tätern wie von politisch Verantwortlichen und Befehlsgebern in Regierung und Armee vor. Über diesen Punkt dürfte es noch Diskussionen im Sicherheitsrat geben, auch mit der russischen Regierung, die eine Vorladung des serbischen Präsidenten Milošević offenbar vermeiden möchte. Diskussionen dürfte es auch noch über die Art und Durchführung möglicher Strafen geben. Der KSZE- Vorschlag spricht sich für Geld- und Gefängnisstrafen, ausdrücklich gegen die Todesstrafe aus. Abgesessen werden sollen die Haftstrafen „auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens unter internationaler Kontrolle“.

Doch selbst wenn über all diese Fragen in absehbarer Zeit ein Konsens gefunden wird und ein zweiter, detaillierterer Beschluß als der gestrige gefaßt werden sollte: es ist nicht davon auszugehen, daß irgendeiner der künftig Beschuldigten freiwillig vor dem Tribunal erscheinen wird. Ob und mit welchen Maßnahmen sie möglicherweise gewaltsam herbeigeschafft werden sollen – über dieses heikle Thema schweigen sich bisher selbst lautstarke Befürworter eines Tribunals und auch die Völkerrechtsexperten aus. Der US- Regierung liegen bereits Anzeigen von Privatpersonen gegen Serbenführer Karadžić vor mit der Aufforderung, diesen beim nächsten Betreten der USA sofort festzunehmen. Doch ein solches Szenario ist nicht zu erwarten. Deswegen machen sich die beiden Vermittler der New Yorker Bosnien-Verhandlungen, Cyrus Vance und David Owen, zu denen Karadžić morgen wieder erwartet wird, auch „keine Sorgen“, daß der gestrige Sicherheitsratsbeschluß die ohnehin festgefahrenen Verhandlungen völlig platzen lassen könnte. In der UNO-Zentrale werde „nicht damit gerechnet, daß das Tribunal vor 1994 überhaupt seine Arbeit aufnimmt“, erklärte der Sprecher der Vermittler, Fred Eckhard, gestern. Das weiß auch Karadžić.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen